Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
die Leute interessant ist, die Alderman kannten.
»Wohnt er in der Nähe?«
»Näher, als Sie ahnen«, sagt er. »Versprechen Sie mir, vorsichtig zu sein. Versprechen Sie mir, dass Sie Bruce nur aufspüren, um ihn zu befragen, nicht, um ihn zu bestrafen.«
Ich zucke die Achseln. »Ihn bestrafen? Ich kann Ihnen nicht folgen.«
Vater Julian seufzt erneut, dann schüttelt er langsam den Kopf. »Nehmen Sie das Gesetz nicht selbst in die Hand, Theo. Rache ist allein Gottes Sache, nicht die Ihre, das wissen Sie.«
Er folgt mir zur Kirchentür und erklärt mir, wie ich zu Sidney Alderman komme. Ich bedanke mich, und er wünscht mir eine gute Nacht, dann fordert er mich erneut auf, vorsichtig zu sein. Worauf ich ihm erkläre, dass ich immer vorsichtig bin.
Bevor er geht, gibt er mir die Hand, und als er mich loslässt, kann ich sehen, wie sie zittert. Schließlich verschwindet er durch die Tür ins Innere. Gottes Arbeitstag ist noch nicht zu Ende.
Kapitel 10
Es hat aufgehört zu regnen. Vorläufig zumindest. Und es ist Nacht geworden. Ich sitze bei eingeschalteter Heizung im Wagen und versuche meine Gedanken zu ordnen; ich frage mich, warum ich Bruce, dem Friedhofswärter, hinterherjage, obwohl ich doch eigentlich zu Hause hocken und eine Pizza mit Jim dem Bourbon runterspülen sollte. Ich habe keine Ahnung, vielleicht liegt es einfach daran, dass ich es öde finde, mich zu Hause vor dem Fernseher bei Wiederholungen miserabler Komödien und den üblichen schlechten Nachrichten langsam zulaufen zu lassen. Das ist das Problem mit den Nachrichten. Die Namen der Opfer ändern sich, die Moderatoren wechseln ihre Klamotten, doch die Geschichten sind stets dieselben. Einige von uns lassen sich das nicht länger bieten und sagen, es reicht; wir versuchen die Dinge zu verändern. Als ich noch im Dienst war, tauchte für jeden Mörder, den wir verhafteten, ein neuer auf. So wie bei Mickey Mouse, der als Zauberlehrling den bösen Besenstiel in der Mitte zerteilt, nur damit aus jeder Hälfte ein neuer Besenstiel wächst und mit dem weitermacht, was der vorige Besenstiel gerade getan hat.
Als die Windschutzscheibe von innen beschlägt, drehe ich die Heizung herunter. Mein Spiegelbild, das nach und nach auf der sich erwärmenden Scheibe sichtbar wird, leuchtet im Schein des Armaturenbretts hellgrün. Auf dem Weg nach draußen fahre ich einen kleinen Schlenker, vorbei am Tatort, der mal ein ruhiger See inmitten eines ruhigen Friedhofs war. Jetzt sind die Leute dort mit mehreren Geräten zugange, und ich frage mich, welches bedauernswerte Mädchen wohl gerade von einer riesigen Metallklaue aus dem See gefischt wird.
Die Friedhofsstraße macht einen Knick, fort von den Maschinen, vom See und von meiner Tochter, dorthin, wo es dunkler wird, wo die Bäume dichter und die Grabsteine spärlicher stehen, bevor sie in die normale Straße mündet. Von dort sind es mit dem Wagen dreißig Sekunden bis zu Aldermans Haus; auf der Fahrt dorthin blickt man hauptsächlich auf die Hecke, die den Friedhof umschließt. Es gibt kaum Häuser in der Gegend. Eines davon, es ist schon alt, wirkt, als würde es gleich einstürzen; ein anderes sieht nagelneu aus, als wäre es gestern erst gebaut worden. Ich vermute, dass die Häuser hier in der Gegend, wie anderswo auch, nach und nach ersetzt werden. Neu ersetzt alt. Und dann wird das Neue allmählich alt. So alt, bis es abbruchreif ist. Kaum vorstellbar, wenn ein Haus gebaut wird, dass es einmal so enden wird. Aber ich schätze, dass mit den Menschen genau das Gleiche geschieht. Das ist der Kreislauf des Lebens.
Ich strecke mich ein wenig, um die Nummern auf den Briefkästen zu lesen; schließlich stoppe ich vor einem der Häuser und gehe die Auffahrt hinauf. Je näher ich komme, desto mehr Einzelheiten kann ich im trüben Schein der Straßenlaternen erkennen. Krumme Schindeln und angeschlagene Betonplatten, dreckverschmierte oder zersprungene Fenster, schiefe Fensterbretter. Es gibt keinen Garten, nur Gras, Unkraut und Schlamm. Das Betonfundament und die Treppe, die zur Haustür hinaufführt, sind mit grünen Schimmelflecken überzogen, und zum ersten Mal wird mir klar, dass selbst Beton vermodern kann. Im Innern brennt kein Licht. Dieses Haus sieht aus, als hätte es Krebs im Endstadium.
Als ich an die Tür klopfe, gibt das Haus ein lautes Knarzen von sich, und plötzlich habe ich Angst, es könnte über mir zusammenstürzen. Im Innern brüllt jemand, ich solle verschwinden. Doch ich klopfe
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