Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
nicht weiter. Die zwei bewohnten Schlafzimmer haben jedes einen ganz eigenen Charakter. Es ist sofort klar, welches dem Alten und welches seinem Sohn gehört. An der Wand im Schlafzimmer des Vaters hängen Hochzeitsfotos. Und der Boden ist mit Unterwäsche übersät. In einem Haufen alter Zeitungen liegt ein kaputter Radiowecker. Auf dem Fensterbrett stehen jede Menge Schnapsflaschen. Die Vorhänge sind schmutzig und alt. Und der Kissenbezug des ungemachten Bettes ist in der Mitte ganz dunkel, vom Schweiß und vom Dreck und von dem Zeug, das sich der Alte irgendwann mal ins Haar geschmiert hat. Der Verlust seiner Frau hat dem Kerl so sehr zugesetzt, dass er sich nie wieder davon erholt hat. Er hat die Kontrolle über sein Leben verloren, und zehn Jahre später hat sich nichts daran geändert.
Ich gehe in Bruce’ Zimmer. Es ist, als würde man ein billiges Motelzimmer betreten, das stolz darauf ist, dass es das Beste aus seinen Möglichkeiten rausholt. Das Bett ist gemacht. Und auf dem Nachttisch stapeln sich einigermaßen ordentlich mehrere Bücher. Unter dem Fenster aufgereiht stehen drei Paar Schuhe. Turn-, Abend- und Arbeitsschuhe. Ich werfe einen Blick unters Bett. Was für ein Beweis dort auch lag, er ist fort. Ich sehe im Wandschrank nach und durchwühle die Taschen sämtlicher Kleidungsstücke. Dann sind die Schubladen an der Reihe. Ich gehe dabei nicht ordentlicher vor als die Polizei. Ich ziehe die Schubladen vollständig heraus und inspiziere die Rückseite, falls er dort irgendwelche Umschläge oder Fotos festgeklebt hat. Fehlanzeige. Ich blättere sämtliche Bücher durch. Aber es fällt nichts heraus. Ich mustere die Titel auf den Buchrücken. Eine Mischung aus Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten, doch es gibt hier weder Serienkiller-Romane noch FBI-Handbücher darüber, wie man nicht geschnappt wird. In seinem Kleiderschrank türmen sich mehrere Schuhkartons, vollgestopft mit irgendwelchem Krempel – Zauberwürfel, Schlümpfe aus Plastik, alte Münzen und ein paar ausgelatschte Schuhe.
Ich spähe erneut unters Bett, nur für alle Fälle, doch dort ist absolut nichts. Was ich nicht verstehe. Jeder verstaut doch irgendwelchen Kram unterm Bett. Mit Ausnahme von Bruce Alderman. Hier gibt es nichts außer Staub, nicht mal freie Stellen, wo vor kurzem noch etwas gestanden haben könnte. Ich zerre das Bett von der Wand.
Die Ecke des Teppichs lässt sich mühelos anheben, da er früher schon mal angehoben wurde. Ziemlich oft sogar. Nebeneinander liegen dort vier DIN-A4-Umschläge, alle relativ dünn. Ich schlage den Teppich ganz zurück, doch das ist alles.
Ich leere den Inhalt des ersten Umschlags überm Bett aus. Dann öffne ich die drei anderen. Alle enthalten das Gleiche. Mehrere Artikel aus diversen Zeitungen über verschiedene junge Frauen. Ungefähr zwanzig Stück, für jede der vier einen gesonderten Umschlag. Der älteste ist zwei Jahre alt, der aktuellste zwei Tage. In den Artikeln geht es um die drei Mädchen, die ich identifiziert habe, und um ein viertes. Sie heißt Jennifer Brown. Jetzt kenne ich also alle vier Namen.
Vier Frauen, die aus Christchurch verschwunden sind, und trotzdem ging das Leben weiter. Kein Schwein hat sich die Zeit genommen, herauszufinden, was es damit auf sich hatte. Vier Frauen unterschiedlicher Herkunft, alle jung – nur fünf Jahre auseinander -, und niemand hat den Zusammenhang gesehen. Weil man es nicht wollte. Die Artikel sind voller Andeutungen. Sie seien unberechenbar gewesen. Seien von zu Hause abgehauen. In den Artikeln über Rachel Tyler wird angedeutet, sie hätte sich mit ihrem Freund gestritten. Und dass er womöglich für ihr Verschwinden verantwortlich sei. Außerdem wird die tote Großmutter erwähnt, wodurch beim Leser der Eindruck entsteht, dass Rachel abgehauen ist, weil sie verwirrt war. Die Artikel sind voll vager Vermutungen und wilder Spekulationen, in der Hoffnung, dass, wenn man sie nur breit genug streut, schon was Richtiges dabei ist.
Ich lasse die Artikel alle zusammen in einen Umschlag gleiten. Bruce Aldermans Behauptung, dass er diese Frauen nicht getötet hat, wird durch diesen Fund nicht unbedingt bestätigt. Möglich, dass alle vier hier gestorben sind. Und Emily? Hat Bruce’ Vater sie hergebracht, bevor er mit ihr weggefahren ist? Hat er ihre Leiche hereingetragen und auf der Couch liegen lassen, während er ein paar Sachen zusammengepackt hat? Nein. Er hätte sie im Kofferraum seines Wagens verstaut. Er wäre nicht so
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