Die Toten schweigen nicht: Thriller (German Edition)
den Führerschein abgenommen?«
»Wegen meiner Vorgeschichte waren sie ein wenig nachsichtig mit mir«, sage ich, was komplett gelogen ist. Natürlich hat man mir den Führerschein abgenommen. Wenn sie mich beim Fahren erwischen, wandere ich direkt wieder ins Gefängnis. Und bekomme obendrein eine Geldstrafe aufgebrummt. Das ist der Quentin-James-Faktor.
»Ich bringe ihn dir vorbei«, sagt Mum. »Ich bin sicher, dass Dad nichts dagegen hat.«
Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Ich lege auf und gebe Mrs. Adams das Telefonbuch zurück.
» Ich hätte Ihnen nicht geglaubt«, sagt sie und bietet mir einen der Muffins an, die sie gerade gebacken hat, als gäbe es irgendein großmütterliches Gen in ihr, das sie veranlasst, mir trotz allem die Hand zu reichen. Ich greife zu, bevor sie es sich anders überlegen kann, und mir wird klar, dass dieser Muffin das Gesündeste ist, was ich seit Wochen gegessen habe.
»Wissen Sie, Theo, ich will Sie wirklich nicht verletzen, nach allem, was passiert ist, also verstehen Sie das bitte nicht falsch, aber es ist nie zu spät, wieder auf die Beine zu kommen. Wenn Sie Hilfe brauchen, Sie finden uns jederzeit nebenan.«
Ich bedanke mich bei ihr dafür, dass ich das Telefon benutzen durfte, und für den Muffin. Sie gibt mir noch einen für zu Hause mit. Wenn mehr Menschen so verständnisvoll und hilfsbereit wären, könnten wir den Krebs, der sich in den Knochen dieser Stadt eingenistet hat, vielleicht ein wenig zurückdrängen.
Es wird eine Stunde dauern, bis meine Mutter mit dem Wagen hier ist, also schalte ich den Fernseher ein und sehe mir ein paar Minuten die Morgennachrichten an. Der Mord an Vater Julian ist der Aufmacher, und es scheint, als bekämen die Fernsehleute heute jede Menge zu tun. Sie bringen einen Beitrag von Casey Horwell, in dem es um die Mordwaffe und den Fundort geht. Sie spricht meinen Namen aus, als hätte sie schon immer gewusst, zu was ich fähig bin, und ihr süffisantes Grinsen signalisiert, dass sie es im Gegensatz zur Polizei hat kommen sehen. Ich frage mich, wie zum Teufel sie herausgekriegt hat, wo die Mordwaffe gefunden wurde, und wer ihr Informant ist. Sie erzählt, dass Vater Julian die Zunge herausgeschnitten wurde. Ihr bloßer Anblick macht mich wütend, und ich muss den Fernseher ausschalten, weil sonst die Gefahr besteht, dass ich ihn mit der Fernbedienung bewerfe.
Ich fange an, das Haus aufzuräumen, und fülle eine weitere Waschmaschine. Dann setze ich mich ein paar Minuten in das Zimmer meiner Tochter. Es wurde letzte Nacht ebenfalls von der Polizei durchsucht, allerdings haben sie hier nichts durcheinandergebracht, die Gegenstände wurden nur leicht verrückt. Sie haben es mit Respekt behandelt. Beim Durchsuchen des Zimmers sind sie auf nichts weiter gestoßen als auf einen einsamen Schrein, der auf einen noch einsameren Vater hindeutet. Daxter sieht vom Bett zu mir auf. Dann folgt er mir nach unten, wo ich seinen Fressnapf fülle.
Vor sechs Monaten hatte ich ein freies Schlafzimmer, das wie ein Magnet den ganzen Krempel angezogen hat, für den ich weder im Haus noch in der Garage einen Platz finden konnte. Jetzt ist es ein Büro – zumindest war es das bis gestern Nacht. Ich setze mich an den Tisch und ziehe einen Notizblock aus der Schublade. Dann fange ich an, die Namen und Daten der getöteten Frauen aufzuschreiben. Ich notiere alle Stichpunkte, an die ich mich erinnern kann, doch die letzten vier Wochen waren ein einziger Nebel aus Alkohol, Schuldgefühlen und Wut. Wut auf den Priester und mich selbst. Ich kann mich nicht mehr an jede Einzelheit erinnern, alles ist in einem Meer aus Selbsthass untergegangen. Ich tue mein Bestes, um mit den Einzelheiten, die mir wieder einfallen, den zeitlichen Ablauf zu rekonstruieren.
Als meine Mutter eintrifft, schaut sie sich im Haus um, und sie kann nicht anders, als ihren Kommentar zum Chaos hier abzugeben, zum Gestank, zur stickigen Luft und zum kaputten Fenster. Sie mustert mich von oben bis unten. Die Schnittwunde an meinem Kopf ist zwar inzwischen verheilt, aber sie ist immer noch kein schöner Anblick. Die Blutergüsse in meinem Gesicht führt sie, wie Schroder und Landry, auf meinen Unfall zurück. Einer verläuft seitlich über meinen Hals; den vom Sicherheitsgurt auf der Brust kann sie nicht sehen. Meine Hände sind mit Schnittwunden übersät; und der Verband an meinem Finger ist mit Blut getränkt.
Meine Mutter ist Ende sechzig, glaubt aber, sie wäre in den Vierzigern und ich
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