Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
aber mich mit Musik zu beschäftigen, dazu habe ich schon seit langem keine Zeit gehabt. Ich habe eine achtjährige Tochter, die ich unterrichten muß. Sie den Händen einer ausländischen Gouvernante überantworten, bloß um selbst freie Zeit für Musik zu haben – nein, nimm es mir nicht übel, Bruder, das tue ich nicht.«
»Wirklich, was bist du langweilig geworden, Schwester!« sagte der Bruder und trat ans Fenster. »Ah, da ist er! Er kommt, er kommt!« rief Platonow.
Tschitschikow eilte ebenfalls ans Fenster. Der Haustür näherte sich ein Mann von etwa vierzig Jahren, von lebhaftem Wesen, mit gebräunter Haut, in einem Kamelottrocke. Auf seinen Anzug pflegte er nicht viel Sorgfalt zu verwenden. Auf dem Kopfe trug er eine Samtmütze. Rechts und links von ihm gingen mit den Mützen in der Hand zwei Männer niederen Standes und redeten angelegentlich mit ihm: der eine ein schlichter Bauer, der andere ein fremder durchtriebener Aufkäufer in kurzem, blauem Rocke. Da sie alle drei bei der Haustür stehen blieben, konnte man in der Wohnung ihr Gespräch hören.
»Das Beste, was ihr tun könnt, ist, euch von eurem Herrn loszukaufen. Das erforderliche Geld will ich euch meinetwegen borgen; ihr könnt die Schuld nachher abarbeiten.«
»Nein, Konstantin Fjodorowitsch, wozu sollen wir uns loskaufen? Nehmen Sie uns! Bei Ihnen kann jeder etwas lernen. Einen so klugen Menschen wie Sie findet man auf der ganzen Welt keinen zweiten. Das Unglück ist heutigen Tages, daß man sich gar nicht in acht nehmen kann. Die fiskalischen Branntweinverkäufer haben jetzt ganz arge Sorten Schnaps eingeführt: wenn man auch nur ein Glas trinkt, bekommt man ein solches Brennen im Magen, daß man einen Eimer voll Wasser nachtrinken möchte; ehe man es sich versieht, ist man sein ganzes Geld los. Die Versuchung ist gar zu groß. Ich glaube, der Böse regiert die Welt, weiß Gott! Alles mögliche führen sie ein, um den Bauer verdreht zu machen: Tabak und allerlei solche Geschichten … Was soll man machen, Konstantin Fjodorowitsch? Man ist ein Mensch und unterliegt der Versuchung.«
»Hör mal zu, die Sache ist doch die: werdet ihr meine Bauern, so seid ihr doch auch unfrei. Allerdings bekommt jeder beim Eintritt eine Kuh und ein Pferd; aber dafür stelle ich an den Bauer auch größere Anforderungen als irgendein anderer. Bei mir heißt es vor allen Dingen: arbeiten! Mag nun einer für mich oder für sich zu arbeiten haben, jedenfalls dulde ich nicht, daß er sich auf die faule Haut legt. Ich selbst arbeite wie ein Pferd und lasse auch meine Bauern so arbeiten; denn das weiß ich aus praktischer Erfahrung, Bruder: all die dummen Gedanken kommen einem bloß davon in den Kopf, wenn man nicht arbeitet. Also überlegt das alle zusammen in eurer Gemeindeversammlung und besprecht es miteinander!«
»Wir haben es schon besprochen, Konstantin Fjodorowitsch. Auch die alten Leute bei uns sagen: ›Das ist nicht zu bestreiten, daß bei Herrn Kostanschoglo jeder Bauer reich ist; das muß doch seinen Grund haben. Auch die Geistlichen sind bei ihm barmherzig; uns dagegen hat man die Geistlichen überhaupt weggenommen, und wir wissen nicht einmal, wie wir unsere Toten beerdigen lassen sollen.«
»Trotzdem rate ich dir: geh noch einmal hin und besprich es mit den anderen!«
»Ich werde es tun.«
»Also, hm, Konstantin Fjodorowitsch, haben Sie die Gnade und lassen Sie ein wenig ab!« sagte der auf der anderen Seite stehende fremde Aufkäufer im blauen Rocke.
»Ich habe dir schon gesagt: ich bin kein Freund vom Handeln. Bei mir ist es nicht so, wie bei manchen anderen Gutsbesitzern, bei denen du dich gerade zu dem Termin einstellst, wo sie die Hypothekenzinsen bezahlen müssen. Ich kenne euch ja alle: ihr habt Verzeichnisse von allen Gutsbesitzern, wann ein jeder Zahlungen zu leisten hat. Da ist es nun kein Wunder: so einer ist in Not, na, und da läßt er dir seine Produkte zum halben Preise ab. Aber ich habe dein Geld nicht nötig: meinetwegen können meine Produkte bei mir noch drei Jahre lang lagern; Hypothekenzinsen habe ich keine zu bezahlen.«
»Sehr richtig, Konstantin Fjodorowitsch. Ich möchte ja das Geschäft auch nur machen, um künftig mit Ihnen in Beziehung zu stehen, nicht um irgendwelchen Gewinnes willen. Bitte, nehmen Sie hier dreitausend Rubel Handgeld!« Der Aufkäufer zog ein Päckchen schmieriger Banknoten aus der Brusttasche. Kostanschoglo nahm sie sehr gleichmütig hin und schob sie, ohne sie nachzuzählen, in die hintere
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