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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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Tasche seines Rockes.
    »Hm«, dachte Tschitschikow, »ganz wie ein Taschentuch!« Nun erschien Kostanschoglo in der Tür des Salons. Jetzt aus der Nähe imponierte er Tschitschikow noch mehr durch seine bräunliche Hautfarbe, die starren, schwarzen, stellenweise schon vorzeitig ergrauten Haare, den lebhaften Ausdruck der Augen und einen gewissen cholerischen, hitzigen Habitus, der auf seine südländische Abkunft hinwies. Er war nicht von rein russischer Nationalität. Er selbst wußte nicht, woher seine Vorfahren stammten, und beschäftigte sich nicht mit seiner Genealogie, da er fand, daß das gleichgültig sei und für die Wirtschaft keinen Nutzen bringe. Er hielt sich für einen Russen und konnte auch keine andere Sprache als die russische.
    Platonow stellte Tschitschikow vor. Sie küßten sich.
    »Um mich von meiner Hypochondrie zu kurieren, Konstantin, beabsichtige ich, eine Reise durch mehrere Gouvernements zu machen«, sagte Platonow, »und Pawel Iwanowitsch hier hat mich aufgefordert, mit ihm zusammen zu fahren.«
    »Ein vortrefflicher Gedanke!« versetzte Kostanschoglo. »Nach welchen Gegenden«, fuhr er, sich höflich an Tschitschikow wendend, fort, »gedenken Sie denn jetzt Ihren Weg zu nehmen?«
    »Ich muß gestehen«, erwiderte Tschitschikow, höflich den Kopf zur Seite neigend und gleichzeitig die Armlehnen des Sessels streichelnd, »ich reise augenblicklich sowohl in meinen eigenen Angelegenheiten als im Interesse eines anderen: der General Betrischtschew, ein guter Freund von mir und, ich kann sagen, mein Wohltäter, hat mich gebeten, seine Verwandten zu besuchen. Diese Besuche bei seinen Verwandten sind ja allerdings mein Hauptzweck; aber zum Teil reise ich sozusagen auch um meiner selbst willen. Ich will gar nicht einmal von dem Nutzen reden, den das Reisen in bezug auf die Hämorrhoiden haben kann; aber die Welt zu sehen und das Treiben der Menschen kennenzulernen, das ist sozusagen ein lebendiges Buch, eine Art Wissenschaft.«
    »Ja, andere Orte und Menschen zu sehen, das kann nichts schaden.«
    »Eine vortreffliche Bemerkung! Außerordentlich richtig: es kann in der Tat nicht schaden. Man sieht dabei Dinge, die man sonst nie gesehen hätte; man kommt mit Leuten zusammen, mit denen man sonst nie zusammengekommen wäre. Manches Gespräch ist einen Dukaten wert, wie sich mir denn zum Beispiel gerade jetzt eine glückliche Gelegenheit darbietet … Ich nehme zu Ihnen meine Zuflucht, hochverehrter Konstantin Fjodorowitsch; belehren Sie mich, belehren Sie mich; stillen Sie meinen Durst, indem Sie mir die Wahrheit verkündigen! Ich warte auf Ihre süßen Worte wie auf ein himmlisches Manna.«
    »Was soll ich Sie denn aber lehren? Ja, was denn nur?« fragte Kostanschoglo verlegen. »Mein eigener Unterricht hat seinerzeit nur ein paar Groschen gekostet.«
    »Eine schwere Kunst, Verehrtester, eine schwere Kunst, die schwere Kunst, das Steuer einer ländlichen Wirtschaft zu handhaben, die Kunst, sichere Einkünfte zu erzielen, ein nicht etwa eingebildetes, sondern wirkliches Vermögen zu erwerben, indem man damit die Pflicht eines Staatsbürgers erfüllt und sich die Achtung seiner Mitmenschen verdient.«
    »Wissen Sie was?« versetzte Kostanschoglo, ihn nachdenklich anblickend. »Bleiben Sie einen Tag bei mir! Ich werde Ihnen die ganze Wirtschaft zeigen und Ihnen alles erklären. Eine besondere Kunst ist, wie Sie sehen werden, nicht dabei.«
    »Gewiß, bleiben Sie bei uns!« sagte die Hausfrau, und sich zu ihrem Bruder wendend fügte sie hinzu: »Bleib doch auch bei uns Bruder; du hast ja keine Eile!«
    »Mir ist es einerlei. Wie denkt Pawel Iwanowitsch darüber?«
    »Ich nehme die Einladung gleichfalls mit dem größten Vergnügen an. Nur eins steht im Wege, ein Verwandter des Generals Betrischtschew, ein gewisser Oberst Koschkarew …«
    »Aber der ist ja verrückt.«
    »Ganz richtig, er ist verrückt. Ich würde auch nicht zu ihm hinfahren; aber der General Betrischtschew, ein guter Freund von mir und sozusagen mein Wohltäter …«
    »Wissen Sie, wie Sie es dann machen können?« sagte Kostanschoglo. »Fahren Sie zu ihm hin; es sind keine zehn Werst. Mein Wägelchen steht bereit; fahren Sie gleich jetzt zu ihm; Sie können schon zum Tee wieder zurück sein.«
    »Ein vorzüglicher Gedanke!« rief Tschitschikow und griff nach seinem Hute.
    Das Wägelchen fuhr vor und brachte ihn in schneller Fahrt in einer halben Stunde zum Oberst. Dort war das ganze Dorf in Unordnung: überall Neubauten und Umbauten;

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