Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Haufen von Kalk, Ziegelsteinen und Balken lagen auf allen Straßen. Neu errichtet waren einige Gebäude, die wie amtliche aussahen. Auf einem derselben stand mit goldnen Buchstaben: »Depot landwirtschaftlicher Geräte«, auf einem andern: »Hauptrechnungsamt«, ferner: »Ausschuß für Gemeindeangelegenheiten«, »Normalschule für Volksbildung«, und Gott weiß was sonst noch alles.
Den Oberst traf er am Stehpult mit der Feder im Munde. Der Oberst empfing Tschitschikow außerordentlich freundlich. Dem Ansehen nach war er ein sehr gutmütiger, umgänglicher Mann; er begann ihm sogleich zu erzählen, wieviel Mühe es ihn gekostet habe, das Gut in seinen jetzigen Zustand zu bringen; mit dem Ausdruck schmerzlichen Bedauerns klagte er darüber, wie schwer es sei, dem Bauer begreiflich zu machen, daß es höhere Triebe gibt, die im Menschen durch einen gebildeten Luxus und durch Kunst und Wissenschaft erweckt werden; er habe die Bauerfrauen noch immer nicht dahinbringen können, Korsetts zu tragen, während in Deutschland, wo er im Jahre 1814 mit seinem Regimente gestanden habe, sogar eine Müllerstochter habe Klavier spielen können; aber trotz alles hartnäckigen Widerstandes von seiten der Unkultur werde er es mit Sicherheit noch erreichen, daß die Bauern seines Dorfes, während sie hinter dem Pfluge hergingen, gleichzeitig ein Buch über den Franklinschen Blitzableiter oder Virgils Georgika oder eine chemische Abhandlung über die Bodenbeschaffenheit läsen.
»Warum nicht gar!« dachte Tschitschikow bei sich. »Ich für meine Person habe immer noch nicht die ›Gräfin Lavallière‹ ausgelesen; ich habe immer keine Zeit dazu gehabt.«
Der Oberst sprach noch viel davon, wie man die Menschen glücklich machen könne. Der Tracht legte er dabei eine große Bedeutung bei: er setzte seinen Kopf dafür zum Pfande, daß, wenn man auch nur der Hälfte der russischen Bauern deutsche Hosen anzöge, die Wissenschaften aufblühen, der Handel sich heben und das goldene Zeitalter für Rußland anbrechen werde.
Tschitschikow hörte, ihm unverwandt in die Augen sehend, lange zu und sagte sich schließlich: »Mit dem brauche ich, wie es scheint, keine Umstände zu machen.« Daher setzte er ihm sofort auseinander: so und so, und was für Seelen er brauche, und daß darüber ein formeller Kaufkontrakt abgeschlossen werden müsse.
»Soviel ich aus Ihren Worten entnehmen kann«, erwiderte der Oberst ohne das geringste Zeichen von Überraschung, »ist das ein Gesuch, nicht wahr?«
»Ganz richtig.«
»Dann fassen Sie es, bitte, schriftlich ab. Das Gesuch geht an das Kontor für die Annahme von Berichten und Anzeigen. Das Kontor versieht dasselbe mit dem Präsentationsvermerk und leitet es an mich weiter; von mir gelangt es an den Ausschuß für Gemeindeangelegenheiten, darauf zwecks Anstellung von Erhebungen an den Verwalter. Der Verwalter, im Verein mit dem Sekretär …«
»Aber ich bitte Sie!« rief Tschitschikow. »Auf die Art zieht sich ja die Sache wer weiß wie lange hin! Und wie läßt sich denn so etwas schriftlich behandeln? Das ist ja eine so subtile Angelegenheit … Die Seelen sind ja gewissermaßen tot.«
»Sehr schön! Dann schreiben Sie uns, bitte, hinein, daß die Seelen gewissermaßen tot sind.«
»Daß sie tot sind? Aber das kann ich doch gar nicht schreiben! Sie sind zwar tot; aber es ist doch notwendig, daß der Anschein erweckt werde, als ob sie noch lebten.«
»Gut; dann schreiben Sie: ›Aber es ist notwendig‹, oder ›es wird verlangt, gewünscht, beantragt, daß der Anschein erweckt werde, als ob sie noch lebten.‹ Ohne schriftliche Behandlung läßt sich das nicht erledigen. Da kann uns England oder Napoleon selbst als Muster dienen. Ich werde Ihnen meinen Kommissionär mitgeben, der Sie zu allen Behörden führen wird.«
Er schlug an einer Glocke. Es erschien ein Mann.
»Sekretär! Rufe mir den Kommissionär!«
Der Kommissionär meldete sich zur Stelle, ein Mensch, halb Bauer, halb Beamter. »Da, der wird Sie zu den notwendigsten Behörden führen.«
Es war mit dem Oberst offenbar nichts anzufangen. Aus Neugier entschloß sich Tschitschikow, mit dem Kommissionär mitzugehen, um sich diese höchst notwendigen Behörden anzusehen. Das Bureau zur Annahme von Berichten existierte nur auf dem Schilde: die Tür war verschlossen. Der Vorsteher dieses Bureaus, namens Chrylew, war in den neugebildeten Ausschuß für Gemeindebauten versetzt worden. Seine Stelle vertrat der Kammerdiener Beresowski; aber
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