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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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dieser war ebenfalls durch die Baukommission irgendwohin abkommandiert worden. Sie sprachen bei dem Departement der Gemeindeangelegenheiten vor, aber dort war eine Umgestaltung im Gange: sie weckten einen Betrunkenen, konnten aber aus ihm nichts Vernünftiges herausbekommen. »Bei uns geht alles drunter und drüber,« sagte schließlich der Kommissionär zu Tschitschikow. »Der Herr wird an der Nase herumgeführt. Alles ordnet bei uns die Baukommission an; sie holt jeden von seiner Arbeit weg und schickt ihn, wohin es ihr beliebt. Ordentlichen Profit machen kann man bei uns nur bei der Baukommission.« Er war der Baukommission offenbar nicht sehr zugetan. Noch mehr zu sehen hatte Tschitschikow keine Lust. Er kehrte zu dem Oberst zurück, berichtete ihm, wie es ihm gegangen war, und sagte ihm geradezu, es herrsche hier eine arge Unordnung; es sei nicht möglich, zurechtzukommen, und die Kommission für Annahme von Berichten sei überhaupt nicht vorhanden.
    Der Oberst flammte in edler Entrüstung auf und drückte Tschitschikow zum Zeichen der Dankbarkeit kräftig die Hand. Sogleich nahm er Papier und Feder und schrieb acht sehr scharfe Anfragen nieder: mit welchem Rechte die Baukommission eigenmächtig über Beamte verfügt habe, die ihr gar nicht unterstellt seien; wie der Hauptverwalter es habe zugeben können, daß der Stellvertreter sich zum Zwecke einer Untersuchung entferne, ohne seinen Posten einem anderen übertragen zu haben; und wie der Ausschuß für Gemeindeangelegenheiten es gleichgültig habe mit ansehen können, daß das Bureau für Annahme von Berichten und Anzeigen gar nicht existiere.
    »Na, nun wird es einen gehörigen Aufruhr geben!« dachte Tschitschikow und wollte schon wegfahren.
    »Nein«, sagte der Oberst, »ich lasse Sie nicht fort. Jetzt ist meine eigene Ehre engagiert. Ich werde Ihnen zeigen, was eine wohlorganisierte, ordnungsgemäße Wirtschaft bedeutet. Ich werde Ihre Angelegenheit einem Manne übergeben, der allein so viel wert ist wie alle anderen zusammen: er hat den Universitätskursus durchgemacht. Da können Sie sehen, was ich für Leibeigene habe! Damit Sie nicht Ihre kostbare Zeit verlieren, bitte ich Sie ergebenst, sich inzwischen in meine Bibliothek zu setzen.« Bei diesen Worten öffnete er eine Seitentür. »Hier sind Bücher, Papier, Federn, Bleistifte, alles. Bedienen Sie sich all dieser Sachen nach Gefallen, es steht alles zu Ihrer Verfügung. Die Bildung muß allen und jedem zugänglich sein.«
    So sprach Koschkarew, während er ihn in die Bibliothek hineinführte. Es war dies ein gewaltiger Saal, der von unten bis oben mit Büchern vollgestellt war. Auch einige ausgestopfte Tiere befanden sich dort. Die Bücher gehörten allen möglichen Gebieten an: der Forstwirtschaft, der Rinderzucht, der Schweinezucht, dem Gartenbau; auch Fachzeitschriften aus allen Gebieten waren vorhanden, die den Subskribenten zugeschickt werden, die aber niemand liest. Da er sah, daß das alles Bücher waren, die nicht zu vergnüglichem Zeitvertreib dienten, wandte er sich zu einem anderen Schranke – aber da kam er vom Regen in die Traufe: es waren lauter philosophische Bücher. Gleich zuerst fielen ihm sechs gewaltige Bände in die Augen mit dem Titel: »Vorbereitende Einleitung in das Gebiet des Denkens; Theorie der Allgemeinheit, der Gemeinschaftlichkeit und des Daseins, auch in Anwendung auf die Erkenntnis der organischen Prinzipien der wechselseitigen Zweiteilung der gesellschaftlichen Produktivität.« Tschitschikow mochte aufschlagen was für ein Buch er wollte, auf jeder Seite fand er Ausdrücke wie »Erscheinung, Entwickelung, Abstraktion, Geschlossenheit, Zusammenschluß« und Gott weiß was sonst noch für welche! »Das ist nichts für mich«, sagte er sich und wandte sich zu einem dritten Schranke, wo Bücher aus dem Gebiete der Künste standen. Hier zog er ein gewaltig großes Buch mit indiskreten mythologischen Bildern heraus und begann sie anzusehen. Derartige Bilder gefallen Junggesellen im mittleren Lebensalter und manchmal auch jenen alten Herren, die sich durch Ballette und andere Reizmittel anzuregen pflegen. Als Tschitschikow mit der Betrachtung eines Buches fertig war, war er schon im Begriff, ein anderes von derselben Art herauszuziehen, als Oberst Koschkarew erschien; sein Gesicht strahlte, in der Hand hielt er ein Blatt Papier.
    »Es ist alles erledigt, und vorzüglich erledigt! Der Mann, von dem ich Ihnen sagte, ist entschieden ein Genie. Zum Lohn will ich ihn aber

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