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Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikolai Gogol
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selten gehörige Prügel. In ihrem Gesichtsausdruck liegt immer etwas Offenes, Gerades, Mutiges. Sie machen schnell Bekanntschaft, und ehe man es sich versieht, duzen sie einen. Sie schließen anscheinend Freundschaft fürs ganze Leben: aber fast stets begibt es sich, daß sie sich mit dem neuen Freunde noch an demselben Abend bei einem freundschaftlichen Schmause prügeln. Sie sind immer redselige, lebenslustige, stattliche, ansehnliche Menschen. Nosdrew war mit fünfunddreißig Jahren noch ganz derselbe, der er mit achtzehn und zwanzig gewesen war: ein Liebhaber des Bummellebens. Seine Ehe hatte bei ihm keine Veränderung herbeigeführt, um so weniger, da seine Frau bald in jene Welt hinüberging, unter Hinterlassung zweier Kinder, an denen ihm absolut nichts gelegen war. Sie wurden übrigens von einer hübschen Wärterin beaufsichtigt. Er konnte schlechterdings nicht länger als einen Tag zu Hause sitzen. Seine feine Nase spürte es auf eine Entfernung von ein paar Dutzend Werst, wenn irgendwo ein Jahrmarkt mit allerlei geselligen Vergnügungen und Bällen war, und im Augenblick war er auch da und richtete Streit und Zank am grünen Tische an; denn für die Karten hatte er, wie all solche Leute, eine Leidenschaft. Beim Kartenspiel verfuhr er, wie wir schon im ersten Kapitel gesehen haben, nicht ganz reinlich und sündlos, da er mancherlei interessante Manipulationen und andere Feinheiten kannte, und daher endete das Spiel sehr häufig mit einem anderen Spiele: entweder prügelte man ihn mit den Stiefeln durch, oder man nahm mit seinem dichten und sehr schönen Backenbarte eine Manipulation vor, infolge deren er bei seiner Rückkehr nach Hause nur noch die eine Hälfte des Backenbartes im Gesicht hatte und auch diese nur in stark gelichtetem Zustande. Aber seine gesunden, vollen Backen hatten eine so gute Natur und besaßen eine so starke Vegetationskraft, daß der Backenbart bald von neuem wuchs, und zwar sogar noch besser als vorher. Und was das sonderbarste ist und nur bei uns in Rußland vorkommen kann, nach einiger Zeit fand er sich mit jenen Freunden, die ihm so übel mitgespielt hatten, wieder zusammen, als ob nichts geschehen wäre: er wußte von nichts, und sie wußten von nichts, wie man zu sagen pflegt.
    Nosdrew war in gewissem Sinne eine »geschichtliche« Persönlichkeit. Bei keinem Zusammensein, an dem er beteiligt war, ging es ohne eine »Geschichte« ab; irgendeine »Geschichte« passierte mit Sicherheit: entweder faßten ihn die Gendarmen unter die Arme und führten ihn aus dem Saale, oder seine eigenen Freunde sahen sich genötigt, ihn hinauszuexpedieren. Und wenn das nicht geschah, so trug sich doch jedenfalls sonst irgend etwas mit ihm zu, was bei einem anderen Menschen nicht vorkommt: entweder betrank er sich im Büfettzimmer dermaßen, daß er immer nur lachte, oder er log so schauderhaft, daß er sich zuletzt selbst darüber schämte. Und dabei log er ganz ohne jede Nötigung: auf einmal erzählte er, er besitze ein Pferd von himmelblauer oder rosa Haarfarbe, und ähnlichen Unsinn, so daß die Zuhörer schließlich alle davongingen und sagten: »Na, Bruder, du machst es mit dem Aufschneiden doch gar zu arg!« Es gibt Leute, die eine wahre Leidenschaft haben, ihrem Nächsten einen Streich zu spielen, manchmal ganz ohne jeden Grund. Manch einer, sogar mancher Mann in Amt und Würden, von vornehmem Äußern und mit einem Ordensstern auf der Brust, drückt dir z.B. die Hand und unterhält sich mit dir von tiefsinnigen, zum Nachdenken anregenden Gegenständen, und dann spielt er dir gleich darauf vor deinen eigenen Augen einen bösen Streich, und zwar tut er das so, wie es ein einfacher Kollegienregistrator tun könnte, und gar nicht wie ein Mann mit einem Stern auf der Brust, der sich über tiefsinnige Gegenstände unterhalten hat, so daß du nur dastehst und dich wunderst und die Achseln zuckst. Diese sonderbare Leidenschaft besaß auch Nosdrew. Je näher er jemandem stand, um so mehr Freude machte es ihm, dem Betreffenden zu schaden: er verbreitete Lügen von so dummer Art, daß es schwer war, dümmere zu ersinnen, hintertrieb eine Heirat oder den Abschluß eines Geschäftes und hielt sich dabei ganz und gar nicht für einen Feind des Geschädigten; im Gegenteil, wenn ihn der Zufall wieder mit ihm zusammenführte, verkehrte er mit ihm wieder aufs freundschaftlichste und sagte sogar: »Du bist ein rechter Schuft; besuchst mich ja niemals!« Nosdrew war ein sehr vielseitiger Mensch, d.h. er

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