Die Toten von Bansin
gemütlich machen. Aber ihr Mann wurde immer mürrischer, je mehr Christine sich bemühte. Seine Arbeit schien ihm keinen Spaà mehr zu machen, er sprach kaum noch von seinen Kollegen und verbrachte seine Abende und Wochenenden immer häufiger vor dem Computer in seinem Arbeitszimmer.
Christine saà nun allein vor dem Fernseher, trank aus Langeweile ein Glas Wein oder auch zwei, später eine Flasche am Abend. Ja, Langeweile, das war es. Sie sah eine endlose Reihe immer gleicher Tage vor sich. Alles ringsherum veränderte sich, die Familien ihrer Bekannten wurden immer gröÃer, es kamen Schwiegerkinder und Enkel hinzu, sie lieÃen lieà sich scheiden, gingen neue Verbindungen ein, wurden arbeitslos und begannen etwas Neues. Die Menschen in ihrer Umgebung fielen und standen wieder auf, nur sie selbst blieb immer im gleichen Trott ohne Höhen und Tiefen. Sie konnte sich nicht einmal dazu aufraffen, ihre Frisur zu ändern oder ihre Haarfarbe. Nur die Falten in ihrem Gesicht wurden auffälliger, sie betonten die herabgezogenen Mundwinkel, was sie unfreundlich und missmutig aussehen lieÃ. Seit kurzem ist sie davon überzeugt, dass sie sich jahrelang schlecht geschminkt hat, was ihre Augen klein und tückisch aussehen lieÃ. Aber sie hatte keine Freundin, die sie darauf hätte hinweisen können.
Manchmal wollte sie ausbrechen, etwas anderes tun, irgendetwas, nur um sich einmal wieder lebendig zu fühlen. Aber sie tat es nie, nur die leeren Weinflaschen, die sie einmal in der Woche zum Container brachte, wurden immer mehr. Im Sommer war sie auf Bier umgestiegen, das trank man schlieÃlich gegen den Durst und nicht wegen des Alkohols.
Bier ist auch billiger, registriert Christine irritiert. Wann fing es eigentlich an, dass Geld eine Rolle im Hause Jahn spielte? Zuletzt reagierte Manfred eigentlich immer gereizt, wenn sie Geld von ihm verlangte für zusätzliche Ausgaben. Es waren doch nur ganz normale Dinge, die sie kaufen wollte, Kleidung, Haushaltsgeräte oder Pflanzen, vielleicht mal ein neues Möbelstück. Sie wagte schon kaum noch, ihn daraufhin anzusprechen, aus Angst, er würde ihr vorwerfen, dass sie ja gar kein Einkommen mehr habe. Aber ihr Verdienst war doch auch vorher nie sehr hoch gewesen und sie hatten auch ohne ihr Gehalt jahrelang gut gelebt.
Christine überlegt. Um Geld hat sie sich noch nie gekümmert, schlieÃlich war ihr Mann Fachmann für Finanzen und sie hatte in dieser Hinsicht absolutes Vertrauen. Die Raten für das Haus, wie hoch sind die eigentlich? Sie erwägt, im Schreibtisch nachzusehen, kann sich aber nicht dazu aufraffen. Wahrscheinlich wird sie ohnehin nichts finden, alle wichtigen Unterlagen bewahrte Manfred im Tresor auf und den Schlüssel trug er bei sich. Zum ersten Mal bedauert sie, sich mit dem Computer ihres Mannes nicht auszukennen, dort sind sicher auch die Kontenbewegungen gespeichert.
Ruckartig setzt sie ihr Glas ab, als ihr etwas einfällt. Wo sind seine Schlüssel denn nun eigentlich? Sie muss die Sachen endlich durchsehen, die die Polizei ihr gegeben hat. Und sie muss zur Bank gehen, sich um ihre Finanzen kümmern. Sie braucht auch Bargeld. Gleich morgen wird sie sich um alles kümmern.
Sie sitzt auf der Couch und blickt auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Sie muss nachdenken. Was ist eigentlich geschehen in der letzten Zeit? Hat Manfreds Tod sie in so einen Schockzustand versetzt, dass sie sich an kaum etwas erinnern kann? Was hat sie in der ganzen Zeit gemacht? Sie horcht in sich hinein. Fast schämt sie sich, dass sie so wenig Trauer empfindet. Eigentlich ist sie erleichtert. Sie hatte nie vor, sich von ihrem Mann zu trennen, dazu war sie zu feige, sie hat immer geglaubt, ihn zu brauchen. Aber nun, wo sie dazu gezwungen ist, weià sie, dass sie allein zurechtkommen wird. Es ist ein neuer Anfang.
Sie sieht ihr Weinglas an. Damit wird sie auch aufhören. Morgen. Heute gehört noch zu ihrem alten Leben. Sie will an ihren verstorbenen Mann denken, schaltet dann aber den Fernseher ein und trinkt einen Schluck Wein. Morgen beginnt das neue Leben, ab morgen wird alles besser.
Berta hat sich die Beichte ihrer Nichte ziemlich ungerührt angehört.
»Meinst du wirklich, ich habe nicht mitbekommen, dass der sich nachts ins Haus geschlichen hat?«
Sophie senkt beschämt den Kopf und denkt daran, wie ihr Verhältnis zu Frank begonnen hat. Als sie von einem Besuch bei
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