Die Toten von Bansin
du es sagst, fällt mir das auch wieder ein. Sie wollten den alten Konsum kaufen, weiÃt du, da an der Ecke, wo es früher Lebensmittel gab. Karin hat nicht nur einmal davon erzählt. Oben im Haus wollten sie wohnen und unten wieder einen Laden aufmachen. Den wollte sie betreiben und er sollte über die Dörfer fahren. Gerade sie, wo sie doch immer so unfreundlich ist, wer kauft denn bei der ein? AuÃerdem ist es in den Supermärkten einfach billiger und das Angebot ist auch gröÃer. Na, mit dem Kredit war es jedenfalls Essig. Mann, war die sauer.« Die Köchin grinst schadenfroh bei der Erinnerung. »Dann ist wohl auch noch das Auto kaputtgegangen, jedenfalls hat sie schlieÃlich an der Supermarktkasse angefangen.«
»Aha, so war das also. Und jetzt ist er tot und sie ganz allein. Wo wohnt sie eigentlich?«
»Sie hat so eine Plattenbauwohnung am Ortsrand. Da hat sie auch schon gewohnt, bevor sie mit ihm zusammen war. Hat wohl gedacht, mit ihm kommt sie da raus. Aber da hat sie sich gründlich verrechnet. Auch ein Mercedes macht eben noch keinen reichen Mann.«
»Ja, das ist wohl wahr. Na, was geht es uns an. Was machen denn deine Kinder eigentlich?«
Diese Jahn ist viel zäher, als ich gedacht habe. Es scheint ihr sogar immer besser zu gehen, von Tag zu Tag. Habe ich ihr am Ende einen Gefallen getan, als ich ihren Mann beseitigt habe? Oder ist sie dauernd so betrunken, dass sie gar nicht bemerkt, was in ihrer Wohnung geschieht? Wozu dann die ganze Mühe und das Risiko, gesehen zu werden?
Ich muss das Miststück bestrafen, sie darf nicht davonkommen. Wenn ich an sie denke, mit diesen glasigen Augen, der dümmlich selbstzufriedenen Miene, möchte ich ihr am liebsten gleich das Gesicht zerschlagen. Wie ich sie hasse! Ich sehe sie direkt vor mir an diesem Tag, obwohl ich nicht dabei war. Er hat es mir so oft erzählt: »Wenn diese Frau nur nicht so gleichgültig gewesen wäre, wenn sie nur ein bisschen aufgepasst hätte!«
Sie haben direkt daneben gesessen. Er ist einfach gegangen und sie hat in all ihrer Stumpfheit dagesessen und Bier getrunken. Warum hat sie nicht hingesehen? Als sie gefragt haben, wo das Kind ist, hat sie nur gleichgültig mit den Schultern gezuckt. Sie hätte es verhindern können, aber es war ihr egal.
Dann, als alle nach dem Kleinen gesucht haben, ist sie nach Hause gegangen. Sie soll es bereuen! Ich will sie erinnern an das, was sie vergessen hat. Nie wieder soll sie sich wohlfühlen in ihrem Zuhause. So wie die Mutter, die das leere Kinderzimmer in ihrer Wohnung nicht ertragen konnte. Ein Jahr nach dem Unfall hat sie sich das Leben genommen.
Diese Säuferin soll merken, was Angst ist, bevor sie endlich nicht wieder aufwacht aus ihrem Rausch.
Donnerstag, 13. Dezember
Vorsichtig öffnet Christine Jahn die Augen. Sie liegt auf der Couch im Wohnzimmer. Ihr Kopf schmerzt und sie hat einen widerlichen Geschmack im Mund. Ihr Hals ist trocken. Als sie sich langsam aufsetzt, wird ihr schwindlig. Zunächst glaubt sie, es wäre Nacht, aber dann merkt sie, dass die Jalousien geschlossen sind. Unter groÃer Anstrengung steht sie auf, lässt Licht in den Raum und setzt sich wieder hin, immer noch völlig benommen. Allmählich nimmt sie ihre Umgebung wahr und glaubt, sich in einem Albtraum zu befinden.
Auf dem Tisch liegt eine Rotweinflasche, der Inhalt hat sich auf den Teppich ergossen. Auch das Glas liegt auf dem Boden. Der groÃe schwere Sessel steht nicht mehr neben der Couch, sondern in einer Zimmerecke. Darauf türmen sich leere Bilderrahmen. Die dazugehörigen Fotos sind in kleine Schnipsel gerissen und im ganzen Zimmer verstreut. Bücher liegen auf dem Boden, anscheinend wurden sie mit einer Flüssigkeit übergossen. Es riecht nach Bier.
Alle Pflanzen, die auf einer Blumenbank neben dem Fenster standen, sind aus den Töpfen gerissen, Blätter und Erde im ganzen Raum verteilt. Das wertvolle Gemälde, das direkt über der Couch hing, ist zerstört und lehnt vor dem Fernseher.
Als Christines Blick zur Glasvitrine wandert, treten ihr Tränen in die Augen. Einer Meissner Porzellanfigur, die sie von ihrer GroÃmutter geerbt hat, wurde der Kopf abgeschlagen. Auch die Kristallgläser und Vasen sind kaputt.
Christine Jahn sitzt sehr lange stumm da, ist unfähig, sich zu bewegen und sieht sich fassungslos um. Dann steigt sie vorsichtig über Bücher, Blumenerde und Scherben
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