Die Toten von Crowcross
die Kugel unterdurchschnittlich wenige reproduzierbare Charakteristika aufweist«, sagte Webster und fummelte an einem der Stifte aus seiner berühmten Sammlung herum.
Die Leute erzählten sich, er bewahre sie in makellosen Reihen auf seinem Schreibtisch auf, streng nach Größe und Farbe geordnet. Jacobson, der zu den wenigen Auserwählten gehörte, die in Websters Miniaturbüro im vierten Stock (abgetrennt vom Labor der Spurensicherung) geduldet wurden, wusste, dass die Wahrheit weit prosaischer war. Websters Stifte standen ganz normal in einer großen, henkellosen Steinguttasse. Allerdings sah diese Tasse, das sollte der Fairness halber gesagt werden, sehr, sehr sauber aus. Und es steckten wirklich viele Stifte darin.
»Zu schlimm verformt?«
»Offenbar. Es wird also schwer sein, klare Riefenmuster auszumachen.«
Was Handfeuerwaffen betraf, verfügte Jacobson gerade einmal über das nötige Grundwissen ẻ Er wäre da längst tiefer eingestiegen, wenn ihn das Thema nicht so gelangweilt hätte. Schlug er doch einmal ein entsprechendes Handbuch auf, kam er nie über ein paar Seiten hinaus. Dennoch wusste er genug, um zu verstehen, was Webster meinte: Die üblichen Probeschüsse würden womöglich nicht ausreichen, um die gefundene Kugel einer eventuellen Tatwaffe zuzuordnen. Wenn sie denn je eine fände n ế
»Zu dumm, Jim. Aber eine Walther könnte es gewesen sein?«
»Oder eine ähnliche Waffe. Auf jeden Fall eine Neun-Millimeter.«
Die Neun-Millimeter-Walther war Englands beliebteste illegale Pistole. Weit verbreitet und billig.
»Das engt das Feld auf eine kleine Elite von Meisterkriminellen ein«, meinte Jacobson düster.
Webster bestätigte, dass die Waffensuche in Crowcross praktisch abgeschlossen sei (ohne dass sie etwas gefunden hätten). Die Durchsuchung des Hauses ebenfalls.
»Einen Datenspeicher habt ihr auch nirgends gefunden?«
»Nein, Frank, nichts.«
»Was ist mit Fingerabdrücken? DNA?«
»Wir arbeiten mit allem, was nur zu finden war, aber bisher gab es ausschließlich Übereinstimmungen mit Martin Grove und Maureen Bright. Möglicherweise haben wir ein paar wenige, an beiden Tatorten aufgefundene Fasern, die nicht Karen Holt zugeordnet werden können, aber das wird der FSS erst noch bestätigen müssen.«
Was uns kein bisschen weiterbringt, solange wir nicht ein, zwei Verdächtige im Gewahrsam haben, dachte Jacobson.
Er ging die beiden Flure hinunter, die das Labor mit dem Einsatzraum verbanden. Jemand musste Nigel Copelands Behauptung, er habe Martin Groves Haus gegen zweiundzwanzig Uhr verlassen und sei ins »Riverside Hotel« zurückgekehrt, überprüfen. Sein eigentliches Team war bereits mit Aufgaben versorgt, wer also dann? Das ihm gemäß dem Dienstplan zugeordnete Personal war kaum einzuschätzen, wenn es mit dem einen oder anderen nicht schon Erfahrungen aus früheren Ermittlungen gab. Als Jacobson den Einsatzraum betrat, sah er DC Phillips am Computer sitzen und seinen Schichtbericht schreiben; es ging um die Fahrzeuglisten, die nach dem Videomaterial vom »Crowcross Arms« angefertigt worden waren. Also gut, dachte Jacobson, Phillips. Der Bursche war jung und machte einen eifrigen Eindruck; außerdem konnte es ihm nicht schaden, wenn er mal einen Augenblick lang nicht wie ein kleiner Hund hinter Emma Smith herlief. Nicht dass Smith sich daran gestört hätte; Jacobson meinte eher das Gegenteil beobachtet zu haben. Aber das geht mich nichts an, sagte er sich. Ratschläge für einsame Herzen gehörten nicht in seine Aufgabenbeschreibung. Er hatte ja noch nicht mal Alison angerufen, wie ihm plötzlich bewusst wurde, und seine eigene Beziehung gepflegt. Aber das würde jetzt noch die ein, zwei Stunden warten müssen, bis Phillips Nigel Copelands Behauptungen überprüft hatte. Alison war die Managerin des »Riverside Hotel« und Jacobson ultrasensibel, wenn Crowbys sich selbst so bezeichnendes erstes Haus am Platz in Ermittlungen auf tauchte (wobei er seine Alison so überhaupt erst kennengelernt hatte). Das war ein weiteres Beispiel dafür, wie die Welt sich seit Hunter und seinesgleichen verändert hatte. Hunter hatte jeden persönlichen Kontakt als geeignetes Hilfsmittel betrachtet und niemals auch nur die kleinste Anstrengung unternommen, Arbeit und Privatleben zu trennen.
Er ließ sich von Phillips kurz die Fahrzeugsituation erläutern, bevor er den Jungen ins Hotel hinüberschickte. Außer Copelands Lexus und dem schwarzen Range Rover mit den geklonten Kennzeichen,
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