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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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anzurufen, um mit ihr einen Termin für die schriftliche Fixierung ihrer Aussage zu vereinbaren. Sie war einverstanden, daß er am Nachmittag vorbeikäme. Lewis dachte insgeheim, daß er sich diesen Weg hätte sparen können, wenn Morse gleich daran gedacht hätte, das Nötige zu tun, sagte aber nichts. Er wußte, daß Morses Interesse an formalen Dingen gering war – zumal, wenn die Aussage wie hier nur dazu diente, eine offene Frage zu klären, für die Lösung des Falles jedoch keinerlei Bedeutung besaß. Und tatsächlich war Morses Wissensdurst, die Familie Richards betreffend, im Schwinden begriffen. Gleich nach Verlassen des Verlages hatte er beschlossen, sich intensiver als bisher mit der Person des toten Jackson zu befassen. Ein Besuch in Canal Reach konnte da nicht schaden, auch wenn er nicht hätte sagen können, was er sich davon eigentlich erwartete.
    So stand Morse am Nachmittag gegen zwanzig vor drei auf der Türschwelle von Nr. 10. Er schloß auf und ging gleich in den oberen Stock. Die blutbefleckte Bettwäsche war abgezogen worden, nur die Decken lagen, ordentlich zusammengefaltet, noch am Fußende. Irgend jemand hatte die verstreuten Zeitschriften aufgesammelt und zwei Stapel gemacht, die Pornohefte und die Anglerzeitschrift sorgfältig geschieden. Er setzte sich aufs Bett, nahm sich eines der Pornohefte und blätterte es durch. Die wenigen Sätze Text waren in Dänisch oder Schwedisch, aber die Fotos waren so eindeutig, daß man die Kenntnis dieser Fremdsprachen entbehren konnte. Gelangweilt legte er die Magazine bald wieder beiseite, verließ das Zimmer und ging nach unten in die Küche.
    Jackson hatte nur wenig Geschirr und so gut wie kein modernes Küchengerät besessen. In der Vorratskammer standen nur ein paar Dosen Baked Beans, das war alles. Unter dem schmierigen Spültisch lag eine Nummer der Sun; daneben lagen abgewaschen in einem gelben Plastikkorb der Teller und das Besteck, die er zu seiner letzten Mahlzeit benutzt hatte. Nein, hier gab es nichts zu entdecken.
    Im vorderen Zimmer war es nicht viel anders – auch hier gab es nichts, was Morse interessiert hätte. Auf dem staubigen Kaminsims stand die Miniaturausgabe einer Kanone aus der Zeit des Burenkrieges; einziger Schmuck an der verblichenen grünen Tapete war der Kalender eines Anglerclubs, der noch den Monat September anzeigte. Auf einem Schränkchen lag neben einem unordentlichen Haufen Papierkram ein Transistorradio. Morse drehte geistesabwesend am Schalter, doch es blieb stumm. Vermutlich war die Batterie leer. Bei Ermittlungsarbeiten war er von penibler Gründlichkeit, und so nahm er sich seufzend und obwohl er sich nicht viel davon versprach, auch noch den Stapel Papier vor: ein veralteter Versandhauskatalog, Jacksons Rentenbuch, ein ungeöffneter Brief mit der letzten Gasrechnung, eine alte Ausgabe des Oxford Journal, ein illustrierter Führer durch Die Fischwelt der britischen Inseln, zwei Broschüren mit dem Titel Wir packen es, eine schmale Schachtel mit zwei neuen weißen Taschentüchern, ein Reklamezettel. Plötzlich hielt Morse inne und griff nach den Broschüren. Ja, genau – jetzt fiel es ihm wieder ein. Die beiden Hefte waren Begleitmaterial zu einer Fernsehserie gleichen Titels, die sich speziell an Analphabeten oder Beinahe-Analphabeten wandte. War Jackson auch Analphabet? Und war dies der Grund, warum sich in seinem Haus kaum ein Buch befunden hatte? Wie anders sah es dagegen im Haus gegenüber aus, wo Anne Scott Regale voller Bücher um sich gehabt hatte, die vielen Reihen von Penguin Klassikern zum Beispiel; Homer, Platon, Thukydides, Äschylos, Sophokles, Horaz, Livius, Vergil … Wenn Jackson diesen Reichtum hätte sehen können … Aber wahrscheinlich hätte es ihn gar nicht interessiert; es hatte dort anderes zu sehen gegeben, das ihn vermutlich viel mehr gereizt hatte, zum Beispiel eine Frau und ihren Liebhaber, die sich bei hellichtem Tage auszogen …
    Morse stieg wieder nach oben in den ersten Stock, nahm das Fernglas, das auf dem Nachttisch lag, trat ans Fenster und sah hinüber zu Nr. 9. Wow! Das war ja fast, als sei man selbst drüben im Zimmer. Er verließ seinen Fensterplatz, ging in den hinteren Raum und blickte in dem schon dämmrigen Nachmittagslicht auf den schmalen Streifen Garten hinaus. In etwa dreißig Meter Entfernung, ganz am Ende, befand sich ein Schuppen. Aus purer Spielerei setzte er das Fernglas ans Auge; die schmutzigen Fensterscheiben behinderten jedoch die Sicht, und so legte er

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