Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
ihnen erklärt, dass ich mit der Polizei reden müsste, weil sie mich ständig zu Hause und in meinem Büro aufsucht. Sie meinten, dann solle ich nicht über die Projekte reden.«
»In welcher Sprache haben Sie sich unterhalten?«
»Auf Englisch. Sie sprechen kein Spanisch.«
»Wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben, Señor Krugman?«
»Nicht persönlich, aber ich habe früher in New York City gearbeitet und bin der Russenmafia deshalb schon in meinem eigenen Hinterhof begegnet. Es sind sehr mächtige Leute, die bis auf wenige Ausnahmen durchaus vernünftig sind, solange man ihrer Meinung ist. Sie könnten versuchen, sich mit ihnen anzulegen, wenn Sie glauben, dass es einem sehr wichtigen Ziel dient. Aber letztendlich suchen Sie doch nach Señor Vegas Mörder oder dem Grund, warum er Selbstmord begangen hat, und ich bezweifle, dass die Russen Ihnen da weiterhelfen können, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Señor Vegas Tod das Letzte war, was sie wollten.«
Falcón nickte. Krugman lehnte sich in seinen Stuhl zurück.
»Was betrachten Sie denn durch das Fernglas?«
»Ich behalte nur den Überblick«, sagte Krugman sehr ernst und lachte dann. »Kleiner Scherz. Ich habe es heute gekauft und probiere bloß aus, was man sehen kann.«
Falcón stand auf. Krugmans aufgesetzte Fröhlichkeit irritierte ihn.
»Haben Sie in letzter Zeit meine Frau gesehen?«, fragte Marty, als Falcón die Hand ausstreckte.
»Ich habe sie am Samstag auf der Straße getroffen«, sagte Falcón.
»Wo denn?«
»Vor einem Kachelladen in der Calle Bailén in der Nähe meines Hauses.«
»Sie ist wirklich ungemein fasziniert von Ihnen, wissen Sie, Inspector Jefe.«
»Nur weil sie ein paar sehr seltsame, spezielle Interessen hat«, sagte Falcón. »Ich persönlich mag ihre Zudringlichkeit nicht.«
»Ich dachte, es wären bloß die paar Schnappschüsse von Ihnen auf der Brücke gewesen«, sagte Krugman. »Oder war es mehr als das?«
»Das hat gereicht, um mir das Gefühl zu geben, dass sie mir irgendwas wegnehmen will«, sagte Falcón.
»Nun, das ist Maddys ganz spezielles Problem«, sagte Krugman. »Wie auch Ihr Freund, der Staatsanwalt, noch herausfinden wird.«
ZWEIUNDZWANZIG
I n der Jefatura saß Ramírez rauchend an seinem Platz. Er berichtete, dass Cristina Ferrera zusammen mit Salvador Ortega auf dem Weg zurück ins Präsidium war. Außerdem würde Virgilio Guzmán, Leitender Redakteur beim Diario de Sevilla und Spezialist für alles Kriminalistische, geduldig in Falcóns Büro warten, was irritierend war, weil der Mann selbst eigentlich gar keine Reportagen mehr schrieb.
Virgilio Guzmán war ein paar Jahre jünger als Falcón, jedoch in seinem Leben und seinem Beruf vorzeitig gealtert. Bevor er nach Sevilla gekommen war, hatte er in Bilbao und Madrid über terroristische Aktivitäten der ETA berichtet. Sein Ehrgeiz und seine Hartnäckigkeit hatten ihn seine Ehe gekostet, der permanente Stress hatte ihm Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen beschert, und er glaubte, dass die Tatsache, dass er seinen sechsjährigen Sohn nicht sehen durfte, für seinen Darmkrebs verantwortlich war, von dem er nur unter Verlust eines Teils seiner Eingeweide wieder vollständig genesen war. So hatte er die Angst des Jobs gegen die Angst um seinen Körper eingetauscht.
Das hatte ihn verändert. Seine Frau hatte ihn noch vor der Krebsdiagnose verlassen, weil er ihr zu hart gewesen war. Mittlerweile war er milder geworden, verfügte jedoch nach wie vor über das entscheidende journalistische Werkzeug: eine unfehlbare Nase für Dinge, bei denen etwas nicht stimmte. Und beim ersten Selbstmord eines leitenden Beamten in der Jefatura musste irgendwo irgendwas faul sein. Er fragte höflich, ob er das Diktiergerät auf den Tisch stellen dürfte, schaltete es an und lehnte sich mit seinem Notizblock zurück.
Falcón sagte kein Wort, obwohl er bereits ein spontanes Urteil über Guzmán gefällt hatte –, da saß ein Mann, dem er nicht nur wegen seines Rufes trauen konnte. Und obwohl er innerlich über seine eigene Naivität den Kopf schüttelte, hoffte er angesichts der 48-Stunden-Frist im Fall Vega auch, dass Guzmán mit seiner Erfahrung möglicherweise Informationen beisteuern könnte, die vielleicht zu einer neuen Spur führten und in andere Richtungen wiesen. Dafür würde er womöglich etwas über die Ermittlungen im Fall Montes preisgeben müssen, aber die Offenlegung und Bekämpfung von Korruption war schließlich eine gute Tat – oder
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