Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
traurig, sich ihn im Gefängnis vorzustellen.«
»Und was bekümmert Ihren Mann?«, fragte Falcón. »Er scheint derjenige zu sein, der unter der Sache am meisten leidet.«
»Er kann nicht darüber reden«, sagte sie. »Es hat etwas damit zu tun, was mit Manolo passiert ist, aber ich kann ihn nicht dazu bringen zu sagen, was es ist.«
»Schämt er sich? Das ist keine ungewöhnliche Reaktion.«
»Für Manolo? Er sagt Nein.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich allein mit ihm spreche?«
»Das wird überhaupt nichts bringen.«
»Ich habe neue Informationen, die ihm vielleicht helfen«, sagte er.
»Den Flur hinunter die letzte Tür links«, sagte sie.
Señor López lag unter einem Kruzifix auf einem dunklen Holzbett. Ein Ventilator an der Decke wirbelte die stickige Luft herum. López hatte die Augen geschlossen. Eine Hand lag zuckend auf seinem Bauch, die andere wie tot neben seinem Körper. Falcón berührte seine Schulter. Die Augen eines verängstigten Mannes starrten ihn an.
»Sie müssen mir nur zuhören«, sagte Falcón. »Ich bin niemandes Richter. Ich bin gekommen, um die Dinge geradezurücken, mehr nicht.«
Señor López blinzelte einmal, als wäre das eine zwischen ihnen vereinbarte Zeichensprache.
»Ermittlungen sind eigenartig«, sagte Falcón. »Wir machen uns auf eine Reise, um herauszufinden, was geschehen ist, und stellen fest, dass unterwegs weitere Dinge geschehen. Ermittlungen haben ein Eigenleben. Wir glauben, dass wir sie führen, aber manchmal führen sie uns. Als ich hörte, was Sebastián Ortega getan hat, hatte das nichts mit der Ermittlung zu tun, an der ich gerade arbeite, aber es hat mich fasziniert. Es hat mich fasziniert, weil das Opfer in solchen Fällen selten laufen gelassen wird, damit es die Polizei in die Wohnung führt, wo der Täter auf seine Verhaftung wartet. Verstehen Sie, was ich meine, Señor López?«
Wieder blinzelte er einmal. Falcón erzählte ihm, was er in der Jefatura gehört hatte, wie Geschichten die Runde machten und wie er erfahren hatte, was in Manolos Fall wirklich geschehen war. Dass die Staatsanwaltschaft eine deutlichere Aussage verlangte, um ihre Anklage zu stützen, war nicht ungewöhnlich. Dass Sebastián sich nicht dagegen gewehrt hatte, war nicht voraussehbar gewesen und hatte zu einem sehr viel härteren Urteil geführt, als die eigentliche Tat verdient hatte.
»Ich habe keine Ahnung, was in Ihrem Kopf vor sich geht, Señor López. Ich weiß nur, dass – ohne Ihr Verschulden und möglicherweise wegen Sebastiáns psychischer Probleme – ein unnötig strenges Urteil gefällt wurde. Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Sie die Waagschalen wieder ausgleichen können, wenn Sie wollen. Sie müssen mich nur anrufen. Wenn ich nichts von Ihnen höre, werden Sie mich nie wieder sehen.«
Falcón legte eine Visitenkarte auf den Nachttisch. Señor López lag auf dem Bett und starrte zu dem sich träge drehenden Ventilator hoch. Falcón verabschiedete sich von Señora López, die ihn zur Tür brachte.
»Pablo Ortega hat mir erzählt, dass er dieses Viertel verlassen musste, weil niemand mehr mit ihm reden oder ihn in den Läden und Kneipen bedienen wollte«, sagte Falcón, als er schon auf dem Treppenabsatz stand. »Wie kam das, Señora López?«
Sie sah ihn nervös und verlegen an und strich sich die Kleidung glatt, bevor sie wieder in die Wohnung schlüpfte und die Tür hinter sich schloss, ohne seine Frage beantwortet zu haben.
Im blendend hellen Licht der Straße nahm Falcón einen Anruf von Juez Calderón entgegen, der ihn im Fall Vega sehen wollte. Auf dem Weg zu seinem Wagen bestellte Falcón in einem kleinen Lokal einen café solo . Er zeigte seinen Dienstausweis und fragte den Barkeeper das Gleiche wie Señora López. Es war ein älterer Mann, der aussah, als hätte er in seinem Leben als Kneipier am schäbigeren Ende der Alameda schon einiges gesehen.
»Wir alle kannten Sebastián«, sagte er, »und wir mochten ihn. Er war ein guter Junge, bis… er etwas Falsches getan hat. Als er getan hat, was er getan hat, fingen die Leute an zu reden, dass solche Typen häufig selbst missbraucht worden sind. Schlüsse wurden gezogen, und die Tatsache, dass niemand Pablo Ortega besonders leiden konnte, hat auch nicht geholfen. Er war ein arroganter Wichser, der glaubte, die ganze Welt läge ihm zu Füßen.«
Der Schweiß an Falcóns Körper trocknete rasch, während er in Calderóns Büro saß und wartete, dass der Juez von einem anderen Termin
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