Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
anderen an den Kopf werfen. Sie hatte etwas Destruktives an sich, wie ein verwöhntes Kind, das Dinge kaputtmachte, nur damit andere sich nicht daran freuen konnten.
Man konnte ihren Zorn noch im Klappern ihrer Absätze hören, als sie vor ihm zum Tor ging, damit er ihre Demütigung nicht sehen konnte und nicht mitbekam, wie sie sich um einen Ausdruck gleichgültiger Verachtung bemühte. Er öffnete die Tür, sie gab ihm die Hand und ging Richtung Hotel Colón davon.
Die Casa Ricardo lag in der Avenida de Hernan Cortés an der Kreuzung von drei Straßen. Es war ein Lokal, wie es nur in Sevilla existieren konnte, wo das Religiöse und das Profane sich auf Schritt und Tritt begegneten. Jeder Zentimeter Wand in der Bar und dem kleinen Speiseraum im hinteren Teil war mit gerahmten Bildern der Heiligen Jungfrau, der verschiedenen Bruderschaften und all den anderen Requisiten der Semana Santa bedeckt. Aus den Lautsprechern drangen die Prozessionsmärsche der Heiligen Woche, während die Leute am Tresen lehnten, Bier tranken und jamón mit Oliven aßen.
Consuelo erwartete ihn an einem Tisch im hinteren Teil des Lokals mit einer halben Flasche gekühltem Manzanilla. Sie küssten sich auf den Mund, als wären sie seit Monaten ein Paar.
»Du siehst gestresst aus«, sagte sie.
Er versuchte, an etwas anderes zu denken als an Pablo Ortega, weil er darüber nicht sprechen durfte.
»Das sind bloß die neuesten Entwicklungen. Wir finden ständig neue Details über Rafael Vega heraus, die ihn immer mysteriöser werden lassen.«
»Nun, wir wussten alle, dass er ein geheimniskrämerischer Typ war«, sagte Consuelo. »Einmal habe ich beobachtet, wie er mit dem Mercedes, dem Wagen vor dem Jaguar, von zu Hause losgefahren ist. Eine Stunde später stand ich in der Stadt vor einer roten Ampel, neben mir hielt ein alter, staubiger Citroën- oder Peugeot-Kombi, und am Steuer saß Rafael. Bei jedem anderen hätte ich an die Scheibe geklopft und Hallo gesagt, aber bei Rafael, ich weiß nicht… Man achtete einfach darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen.«
»Hast du ihn je danach gefragt?«
»Erstens hat er auf direkte Fragen nie geantwortet, und warum sollte er nicht in einem anderen Wagen unterwegs sein? Ich habe angenommen, dass es ein Firmenwagen war, mit dem er zu einer Baustelle gefahren ist.«
»Wahrscheinlich hast du Recht, und es ist nichts. Manchmal kommt man an den Punkt, wo einem jedes Detail bedeutungsvoll erscheint.«
Sie bestellten ein revuelto de bacalao , Muscheln und kleine Langusten, eine große orangefarbene Schüssel voll salmojero und gegrillte rote Paprika mit Knoblauch. Consuelo goss ihre Gläser voll, und Falcón wurde ruhiger.
»Ich hatte gerade eine… Konfrontation mit Maddy Krugman.«
»Die puta americana ist doch nicht an deinem freien Tag zu dir nach Hause gekommen?«
»Sie hat mir auf der Straße aufgelauert«, sagte er. »Das war jetzt schon das dritte Mal. Zweimal ist sie schon aufgekreuzt, als ich in Vegas Haus war… hat mir Kaffee angeboten und wollte reden.«
» Joder , Javier, sie verfolgt dich.«
»Sie hat etwas Vampirhaftes, nur dass sie sich nicht von Blut ernährt.«
»Mein Gott, so dicht hast du sie an dich rangelassen?«
»Ich glaube, sie nährt sich von dem, was ihr selber fehlt«, sagte Falcón. »Sie schmeißt ständig mit Kunstphrasen wie ›Empathie‹, ›emotionale Reaktion‹ und dem ›Gefängnis ihrer Qual‹ um sich, hat aber keine Ahnung, wovon sie redet. Wenn sie dann Menschen sieht, die wirklich leiden, fotografiert sie sie und versucht, das Gefühl zu bannen und sich anzueignen. In meiner Jugend in Tanger haben die Marokkaner geglaubt, Fotografen würden ihnen ihre Seelen rauben. Und genau das macht Maddy Krugman. Sie ist mir unheimlich.«
»Hört sich an, als wäre sie deine Hauptverdächtige.«
»Vielleicht schicke ich sie in ein Gefängnis ihrer Qual.«
Consuelo zog ihn an sich und küsste ihn fest auf den Mund.
»Wofür war das?«
»Du musst ja nicht alles wissen.«
»Ich bin Inspector Jefe, das liegt nun mal in meinem Wesen.«
Als das Essen kam, ließ ihn Consuelo los und schenkte Manzanilla nach. Bevor sie zu essen begannen, beugte er sich vor und winkte sie heran, bis sich ihre Wangen über dem Tisch berührten.
»Ich kann das hier drinnen nicht so laut sagen«, flüsterte er ihr ins Ohr, »aber es gibt noch einen Grund, warum ich ein wenig angespannt wirke. Es ist bloß… ich bin dabei, mich in dich zu verlieben.«
Sie küsste ihn auf die Wange und nahm
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