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Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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ruiniert. Und das ist das Großartige an dem Mittel unserer Herrschaft – es befähigt uns zu Invasionen, ohne irgendwo einzumarschieren. Wir können diktatorisch bestimmen und gleichzeitig als Macht des Guten dastehen. Der Kapitalismus kontrolliert eine Bevölkerung, indem er ihr die Illusion von Freiheit und Wahlmöglichkeiten gibt, während er sie gleichzeitig zwingt, sich einem strengen Prinzip unterzuordnen –, und wenn man sich dagegen auflehnt, riskiert man den persönlichen Ruin. Es gibt keine Gestapo, keine Folterkammern… perfekt. Wir nennen es Imperium light.«
    Falcón wollte Krugmans Vortrag unterbrechen, aber Marty hob die Hand.
    » Patiencia , Inspector Jefe, ich komme gleich zur Sache. Das sind die Grundzutaten des amerikanischen Imperiums, und wie Sie gemerkt haben, habe ich mich dessen bedient, was Rafael für das größte amerikanische Talent hielt – die Kunst der Präsentation. Wahrheit, Fakten und Wirklichkeit sind Wachs in den Händen eines großen Präsentators. Zum Beispiel: Wie könnte man uns Aggressivität vorwerfen, wo wir doch nie irgendwo einmarschieren? Und dann unsere Karriere als Verteidiger des Rechts gegen die Mächte des Bösen und der Finsternis. Wir haben Europa vor den Nazis gerettet, Kuwait vor Saddam.
    Rafael hielt das für eine Arroganz, die, kombiniert mit christlichem Fundamentalismus und der offenen Unterstützung der Israelis durch die amtierende Regierung, den islamischen Fanatikern einfach zu viel wurde. Er meinte, dass dies der Heilige Krieg wäre, auf den beide Seiten gewartet hätten; wir kehrten in die Ära der Kreuzzüge zurück, nur dass die Arena jetzt größer wäre und die zur Verfügung stehenden Techniken zerstörerischer.
    Als Al-Quaida dann das Symbol unseres amerikanischen Imperiums angegriffen hat – und Rafael war der Ansicht, dass man schon einen sehr lauten Knall brauchte, um 250 Millionen Menschen aus ihrem Zustand schläfriger Bequemlichkeit zu wecken –, dachte er, dass die wahrhaft schreckliche Erkenntnis für uns die war, dass Al-Quaida uns besser kannte als wir selbst. Sie hatten begriffen, wie unsere Gesellschaft tickt – unser Wunsch nach herausragender Präsentation und unser Bedürfnis, Eindruck zu machen. Er maß dem zeitlichen Abstand zwischen dem Einschlag des ersten und des zweiten Flugzeugs große Bedeutung zu, weil der dafür sorgte, dass die Weltmedien zugegen waren.«
    »Ich bin überrascht, dass diese Diskussionen gewaltfrei verlaufen sind«, sagte Falcón.
    »Das war eine Zusammenfassung seiner Ansichten über den 11. September, nicht unserer Diskussionen«, erwiderte Marty. »Ich bin ziemlich oft aus dem Zimmer gestürmt, und er hat mich immer wieder reingeholt. Es gab Tage, an denen die diplomatischen Beziehungen komplett abgebrochen wurden. Mein Zorn überraschte ihn. Er hatte nicht erkannt, wie viel angestaute Wut es in Amerika gibt.«
    »Sehen Sie irgendeinen Zusammenhang zu dem Zettel, den wir in Señor Vegas Hand gefunden haben?«
    »Ich habe darüber nachgedacht, aber ich sehe keinen.«
    »Ihre Frau hat gesagt, Sie wären sicher, dass er in Amerika gelebt und es ihm dort gefallen hatte«, sagte Falcón. »Trotzdem vertrat er Ansichten, die viele Amerikaner verärgern würden…«
    »Diese Ansichten unterscheiden sich gar nicht so sehr von dem, was die meisten Europäer insgeheim denken, Inspector Jefe. Deshalb halten viele meiner Landsleute die Europäer jetzt für neidische Verräter.«
    »Neidisch?«
    »Ja, darüber hatte Rafael auch eine Meinung. Er sagte, die Europäer wären nicht neidisch auf unsere Lebensart – dafür ist die amerikanische Gesellschaft ihnen zu aggressiv. Außerdem erzeugt Neid keinen Hass. Er meinte, dass sie in Wahrheit Angst vor den Amerikanern hätten, und Angst erzeugt Hass.«
    »Wovor haben die Europäer denn Angst?«
    »Davor, dass wir mit unserer ökonomischen Kraft und unserer politischen Stärke die Macht haben, ihre Bemühungen belanglos zu machen – das Kyoto-Protokoll, Handelszölle, der Internationale Strafgerichtshof und so weiter…«
    »Und trotzdem war Señor Vega absolut proamerikanisch?«
    »Wenn man so antikommunistisch war wie er, musste man das sein«, sagte Marty. »Er dachte nur eben nicht emotional. Er war ganz bestimmt kein Befürworter von Al-Quaida. Er betrachtete die Vorkommnisse lediglich als… den Lauf der Dinge. Notorische Schulhofschläger kriegen irgendwann selbst eins auf die Nase, und meistens kommt der Schlag aus der Richtung, aus der sie ihn am

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