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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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ist?«
    »Ich habe allen Freunden dort Bescheid gesagt, sie rufen sofort an, falls Luzie sich meldet.«
    »Was sagt die Polizei?«
    Sonja schlug sich vor den Kopf. Gentilini hatte sie völlig vergessen. Wenn er in der Zwischenzeit etwas Wichtiges herausgefunden hatte, hätte er sie nirgendwo erreichen können. Sie deutete auf das Telefon. »Darf ich vielleicht …«
    »Natürlich, prego, vai. «
    Sie kramte den Zettel mit Gentilinis Nummern aus der Hosentasche und begann zu wählen.
    In dem Moment wurde hinter ihr heftig die Tür aufgestoßen. Sie schrak zusammen, fuhr herum, erwartete das Schlimmste – aber nicht zwei hereinstürmende, etwa zehnjährige Jungen, die einander auf ersten Blick zum Verwechseln ähnlich sahen.
    »Papa, du wolltest doch mit uns …«
    »Pino, Lucio, zitti!«
    »Du hast aber versprochen …«
    Er legte den Zeigefinger auf die Lippen und sagte halblaut: »Das da ist Sonja, eure Tante. Sie gehört ab heute zur Familie.« Dann hob er die Hände. »Aber ja nicht der nonna sagen. Versprochen? Es ist vorläufig unser Geheimnis. Unter Männern. Capito?«
    Die Jungs nickten höflich, aber uninteressiert. Ihnen war anzusehen, dass sie in diesem Moment jede Tante der Welt gegen einen Fußball gleich welcher Marke eingetauscht hätten.
    Währenddessen drang Gentilinis Stimme an Sonjas Ohr. Er klang gehetzt. »Sonja! Ich versuche dich seit Stunden zu erreichen!«
    »Ich habe dich angerufen, aber du warst nicht da«, erwiderte Sonja knapp.
    »Wo bist du?«
    Sie erklärte es ihm kurz.
    »Hat Luzie sich bei Antonios Familie gemeldet?«
    »Nein. Hast du Neuigkeiten? Hat jemand aus Hamburg angerufen?«
    Er verneinte ebenfalls. Im Hintergrund wurden Stimmen laut. »Entschuldige, Sonja, ein schlechter Moment. Hier ist gerade die Hölle los. Kannst du in einer Stunde unten an der Talstation sein? In der Via Roma? Va bene?«
    Als sie auflegte, hörte sie Vittorio mit Nachdruck sagen: »Ihr lauft jetzt sofort zurück in die Wohnung und bringt mir das Fotoalbum von Antonio. Mamma weiß schon, welches. Aber sonst kein Wort! Alles bleibt unter uns Männern, capito?«
    Die Jungs stöhnten auf, einer schlug sich genervt vor den Kopf, der andere protestierte: »Aber das Training …«
    »Fängt heute später an. Los jetzt, und zwar flott.« Er sah auf die Uhr. »In fünf Minuten seid ihr wieder da.«

26
    Vittorio stand neben ihr, kommentierte und ließ sich alle Zeit der Welt, während seine Söhne ungeduldig von einem Bein aufs andere hampelten, bis er ihnen endlich erlaubte, am Computer zu spielen. Sonja dachte beim Umblättern der Seiten kurz, ob das wohl eher ein guter oder ein schlechter Einstand für die neue Tante war. Sie hatte sich das Fotoalbum, das Antonios Mutter zur Erinnerung an ihren Erstgeborenen zusammengestellt hatte, eigentlich gar nicht ansehen wollen, aber sie musste. Sie musste, weil es dazu gehörte und weil die Höflichkeit es verlangte. Schließlich gehörte sie jetzt zur Familie. Ecco. Also Umblättern, Seite für Seite, Kindheitsbilder, Jugendbilder.
    Antonio als Baby. I primi passi: Antonios erste Schritte. Der Tag der Einschulung: Endlich bin ich groß. Viele Fotos von Namenstagen, Weihnachten, Ostern im Kreis der Familie. Meine erste Angel, direkt daneben ein zweites Foto, auf dem Antonio um einen Kopf gewachsen schien: Mein erster Fisch. Als Teenager am Strand in Acciaroli. Die erste Party, die erste Freundin, die erste Vespa, achtzehnter Geburtstag. Ein Junge in Schwarzweiß, später auch in Farbe. Die Eltern und Verwandten des Jungen. Das war ab jetzt auch Sonjas Familie. Luzies Familie. Antonio bestand nicht mehr aus einer Nacht und vier Tagen, jetzt erhielt er eine Vorgeschichte, die in diesem Fotoalbum erzählt wurde. In der Nachgeschichte steckte sie selbst mittendrin. Sonja hatte alles erwartet, aber nicht, dass auch sie in diesem Album vertreten war. Das Foto kam ziemlich weit hinten. Sie erinnerte sich: Sie hatten einen Mann am Strand gefragt, ob er sie fotografieren würde, mit Gianlucas Fotoapparat. Ganz links stand Sergio, daneben Franco, dann kam Maris, sie selbst, dann Antonio und Gianluca. Danach folgten im Album nur noch zwei Seiten. Die Beerdigung, der Sarg, ein Foto vom Grab, eins vom Grabstein. Sonja blätterte schnell wieder zurück.
    »Wer ist die zweite Frau auf dem Foto?«, fragte Vittorio.
    »Meine Freundin Maris.«
    »Kanntest du seine Freunde gut?«
    »Flüchtig. Ich bin sechs Jahre jünger als Antonio. Zu der Zeit, als das Foto entstand, ging ich noch zur

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