Die Totenfrau des Herzogs
schier auseinanderbarst, um bloß seine Zunge im Zaum zu halten. Er hatte sie gehabt. Die Gier im Blick des Riesen, die Art, wie seine Züge sich veränderten, jetzt, wo sie zu weinen begann und so dicht neben ihm stand … er hatte sie gehabt. Er hatte sie verdammt noch mal gehabt, einmal, zweimal, vielleicht hundertmal! Er hatte sie besessen, wie man eine Geliebte besitzt. Blinde, ohnmächtige Eifersucht loderte wie eine Feuersbrunst durch seine Brust, und nur ein letzter Rest an Verstand verhinderte, dass er sich trotz der Schwertspitze, die sich immer beißender durch das Loch in seinem Kettenhemd grub und ihn langsam zu durchbohren begann, mit der Kraft der Verzweiflung aufrappelte und dem Waräger mit bloßen Händen an die Kehle ging. Er hatte sie gehabt!
»Wirklich nichts …?«, fragte der Riese da und ließ die freie Hand mit gespreizten Fingern über ihren Busen gleiten, ohne ihn wirklich anzufassen. Ima stand wie erstarrt. Die Schwertspitze in Gérards Fleisch lockerte sich, als Örn plötzlich nach der Brust griff, während sich ein helles Siegergrinsen über sein Gesicht breitete …
»Ihr könntet bei mir bleiben. Dann dürfte er gehen.« Gérard stieß einen Schrei aus. Er packte das Schwert mit bloßen Händen, riss es aus seiner Schulter und stach es neben sich in den Erdboden, während er sich darunter wegzurollen versuchte.
»Lass die Finger von meinem Weib!«, brüllte er außer sich und wollte sich aufrappeln, da stürzten sie von hinten auf ihn zu, unzählige Fäuste trafen seinen Kopf, seine Schultern, den Rücken, er verlor das Gleichgewicht - stolperte vornüber in den von seinem eigenen Blut durchtränkten Staub.
»Ihr seid sein Weib?«, hörte er die dröhnende Stimme irgendwo in den Wolken, sie hallte in seinem Kopf wider
- war es Gott selbst, der da sprach und ihn strafte … doch wofür … Stöhnend wälzte er sich auf den Rücken - und starrte erneut auf das Schwert des Warägers.
Der hob die Brauen. Als er den Kopf drehte und Imas Blick suchte, zuckte die linke Braue. »Lasst uns um ihn spielen, Frau.«
Die grausame Macht dieses Satzes umgab Ima noch, als er längst gegangen war. Fassungslos stand sie da und starrte ihm hinterher.
»Ima.« Gérard tastete nach ihrem Fuß. Zusammengekrümmt von den Schlägen lag er da und streckte die Hand aus, einer der umstehenden Kerle lachte bereits. Sie sank auf die Knie, kauerte sich ganz dicht neben ihn, und doch war es nicht nah genug. Wie von selbst umklammerten sich ihre Hände, mehr war nicht möglich vor all den neugierigen Zuschauern.
»Was tust du hier …«
»Ima …«
»Um Himmels willen …« Ein Schluchzer entfuhr ihr, mit der anderen Hand griff sie nach seiner Wange, fester als beabsichtigt. »Gott steh uns bei, Gérard …« Die Angst drohte sie zu überwältigen, sie musste doch stark bleiben. Und so drückte sie einen Kuss auf seine Hand und verließ ihn, weil seine Nähe sie zaghaft werden ließ. Die Arbeit bei den Kranken war wie ein Seil, an welchem sie sich würde entlanghangeln können. Sie zwang sich, an dieses Seil zu denken, um ruhiger zu werden.
Man hatte die Gefangenen auf den Boden gelegt. Bohemunds Haut war inzwischen krebsrot und er selbst kaum noch bei Bewusstsein. Sein leises Murmeln verstand sowieso niemand. Dennoch fesselten sie ihn, ebenso wie Gérard, der sich inzwischen wieder etwas erholt hatte und
völlig verständnislos auf seine nackte Brust starrte. Dort nämlich band ein junger Waräger ein Kaninchen fest, welchem er vor wenigen Augenblicken erst den Hals umgedreht hatte. Ima beugte sich über den brandigen Arm eines Kranken und strich vorsichtig Irissalbe in die Schrunden. Es war unpassend, hier weiterzumachen, doch sie fürchtete, verrückt zu werden, wenn sie untätig sitzen blieb. Ihre Hände zu beschäftigen half ein wenig. Den Kranken fiel ihr Zittern nicht auf. Die meisten hatten sich aufgesetzt, um nichts zu verpassen, was ein gutes Zeichen für ihre beginnende Genesung war, doch sie konnte sich über ihren Erfolg nicht freuen. Nichts war gewonnen, alle Mühe umsonst gewesen, wenn Örn sie gleich im Spiel vernichten würde. Gérards unruhiges Schnaufen ließ ihre Hand zusätzlich zittern.
»Er wird sterben«, raunte der Kranke da. Sie sah hoch. Er hatte bisher zu allem geschwiegen. Dringlichkeit stand jetzt in seinen Augen. »Er wird sterben, wenn du verlierst, verstehst du? Der Örn wird den Adler loslassen - und dem ist egal, ob er Kaninchen frisst oder deinem Freund die
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