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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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wirbelte durch den Staub. Er musste husten, und dann war sie neben ihm. Nicht ganz. Sie war neben dem Riesen stehen geblieben.
    »Ich bitte Euch - verschont ihn …« Ihre Stimme versagte, sie vermied es, Gérard anzuschauen, stattdessen hatte sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf den Arm des Riesen geworfen. »Örn - verschont ihn. Verschont … ihn.«
    Örn spitzte die Lippen. Mit der Linken wischte er sich über das staubverschmierte Gesicht und schaute auf sie herab. Das verwischte Blut hatte seine Züge nun vollends in eine Kriegerfratze verwandelt, und die Sonne bemühte sich, dem trocknenden Blut noch mehr Gefährlichkeit einzuhauchen. Örn suchte einen neuen Platz für seine Klinge - ein Stück oberhalb des Herzens. Ganz langsam drückte er sie
tiefer in Gérards vom Kettenhemd geschützte Schulter. So starb man langsamer. Gérard ließ den Kopf in den Staub sinken. Er suchte Örns Blick, wie jeder Besiegte, der seinem Bezwinger im Moment des Todes in die Augen schaut. Hoffnungslosigkeit trübte seinen Blick, formte einen steinharten Kloß in seiner Brust. War hier wirklich das Ende? Im Staub Makedoniens, zu Imas Füßen, ihre Tränen auf seinem Gesicht, ohne ihre Stimme noch einmal gehört zu haben? Das von vielen Kämpfen mürbe gewordene Kettenhemd würde nachgeben, den Weg für die Klinge - und den Tod - freigeben. Dann würde er sie nicht einmal mehr berührt haben. Er atmte schwer, wie erstarrt über seine ausweglose Lage.
    Um sie herum war es still geworden. Selbst in diesem seltsamen Massenlager am Feuer hielten sie die Luft an und warteten gespannt, ob der Anführer den dreisten Fremden nun ins Jenseits schicken würde …
    »Warum liegt Euch so viel an ihm?« Der Riese lauerte auf einen Fehler, seine Stimme klang gefährlich ruhig. Ima holte Luft. Schlank und aufrecht stand sie vor ihm, und der Wind nahm Strähnen ihres Haares und umschmeichelte damit ihr erschöpftes Gesicht. Gérards Brust schmerzte, obwohl das Schwert sie noch gar nicht durchbohrt hatte. Begann das Sterben so? Mit Schmerzen, weil man nicht gehen will? Weil das Herz voller ungesagter Dinge war, voller ungeteilter Sehnsucht, voller Bedauern … Gott schütze dich, meine schöne Geliebte, dachte er, Gott schütze dich wie seinen Augapfel, schütze dich, halte dich in seiner Hand, Geliebte …
    »Er ist einsam. Wie Ihr - wie ich.« Imas klare Stimme durchtrennte seine Todesfantasien.
    »Einsam«, wiederholte der Waräger stirnrunzelnd. »Ist das etwa ein Grund? Wäre er dann nicht besser bei seinem Gott aufgehoben? Der, von dem sie sagen, dass er die Nackten bekleidet …«

    »Macht Euch nicht lustig, Örn Nábitr. Stellt Eure Bedingungen.« Ihre Stimme zitterte leicht. »Ich werde auch diesen Mann auslösen …« Damit trat sie einen Schritt vor und ging neben Gérard und dem Schwert in die Knie. Ihre Nähe nahm ihm noch mehr Luft, doch wagte er kein Wort, um sie nicht in Gefahr zu bringen - und auch sie blieb still. Aber sie legte ihm einfach die Hand auf die Brust - jene Hand mit den sechs Fingern, und er fühlte, wie die Wärme aus ihnen floss und auf ihn überging und er stärker wurde - ein Geschenk …?
    Der Riese deutete auf das Lager. »Ihr habt Eure Schulden bereits abgetragen, Ima. Und ich kann Euch nicht noch einen Mann schenken.« Gespielt lehnte er sich auf das Schwert. Ein Kettenglied nach dem anderen gab auf, die Spitze sank tiefer, hinein ins Fleisch. Gérard unterdrückte dennoch ein Stöhnen, um nichts zu verpassen, was dieser Bastard von sich gab, was für ihn Tod oder Leben bedeuten konnte. Der Riese sprach nämlich weiter, lächelnd und mit sanfter Stimme. »Was hättet Ihr mir für diesen hier denn anzubieten? Ima?«
    Unter den Männern kam ein Raunen auf, Worte, Lachen, schlurfende Schritte, die sich näherten. Ein Weib im Lager, das verstand auch ein Fremder, schürte Hoffnungen. Ausgehungerte Lenden meldeten sich, erwachende Hüften demonstrierten, was in diesem Lager seit Monaten fehlte. Einer von ihnen griff sich die herumirrende Ziege und nahm sie von hinten, was das Tier offenbar kannte, denn es blökte verärgert. Niemand hinderte ihn daran. Gérard litt Höllenqualen, weil das Schwert ihn an den Boden fesselte und ihn zum Zuschauen verdammte. Ima stand auf und trat einen Schritt zurück.
    »Ich habe nichts mehr, Örn. Nichts.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die Arme sanken resigniert herab. »Ich habe nichts, was Euch noch gefallen könnte.«

    Gérard biss die Zähne zusammen, bis sein Kiefer

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