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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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getrieben hatte. Ima spürte sofort, dass sie jetzt genau hinschauen musste - dass das Spiel vor dem Ende stand. Ihr sechster Finger pochte, als wolle er sie an den Tod erinnern. Er war ganz nah - es bedurfte nur eines Fehlers von ihr, eines falschen Spielzugs mit der falschen Zahl. Sie würfelte ein letztes Mal. Die Seite mit der höchsten Punktzahl erschien. Örn stierte auf das Brett. Dann nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Becher und wischte sich mit dem Ärmel langsam den Schaum vom Mund. Eine gewisse Zufriedenheit wollte sich schon breitmachen, weil sie es vielleicht doch nicht gemerkt hatte und nun ihrerseits
durch einen Fehler das Spiel beenden und verlieren würde - da hob sie die Hand. Wie ein zarter Vogel stand diese Hand über dem Spielbrett, leise flatternd, weil nervliche Anstrengung ihren Tribut forderte; und ein wenig zögernd, aber nur kurz, hingen ihre Finger abwärts. Die Sonne schob neugierig eine Wolke beiseite und beleuchtete das Brett. Ein Strahl traf den linken Amethyst, welcher den Ausgang versperrte, wie ein feiner Hinweis, ein Fingerzeig von oben.
    Ima erkannte ihre Chance. Sie hob den Bergkristall an, wanderte von Feld zu Feld, dann bog sie ab, weil sie noch zwei Punkte zu gehen hatte, setzte den gefährlichen Amethyst außer Gefecht - und der König war frei.
     
    Örn rührte sich nicht. Niemand wagte, etwas zu unternehmen.
    Hinter den Häusern blökte die Ziege, sonst war es still. Die Spannung unter den Zuschauern wurde unerträglich, nicht einmal ein Räuspern war zu hören. Der Adler trat von einem Fuß auf den anderen. Sein Schnabel schien zu wachsen, der ganze Greifvogel wurde größer und wollte den Platz am Feuer verschlingen, als wüsste er, dass hier etwas entschieden worden war. Er wartete nur darauf, seine Schwingen auszubreiten und alles hinwegzufegen. Örn sortierte die Leine in seiner Hand, eine unsinnige Bewegung, die nur die Fußkette unnötig rasseln ließ, und die Stille zerriss.
    Sie war sich nicht sicher, ob er nicht doch die Lederkappe abziehen würde. Wenn der Vogel hungrig war, würde er keine Zeit verlieren. Kaum dass sein Blick frei schweifen könnte, würde er die Beute entdeckt haben - auf der ungeschützten Brust des Normannen. Ima mochte nicht weiterdenken. Es war vorbei. Es war doch vorbei …
     
    Gérard stand an der Grenze zum Wahnsinn. Dort war er schon einmal gewesen, er kannte das Gefühl gut. Die Fessel,
die seine Brust wie die Kralle dieses verfluchten Vogels umschloss, zog sich immer enger, und das tote Kaninchen unter seiner Nase begann widerwärtig zu stinken, oder kam ihm das nur so vor? Die Luft wurde ihm knapp. Der Mann neben ihm hatte sich die ganze Zeit schon nicht bewegt, vielleicht war er auch tot. Wenn er tot war, kümmerte das hier niemanden, und das war Gérard eine Lehre. Mühsam hob er den Kopf. Das Schweigen am Spielbrett beunruhigte ihn zutiefst. Ein Rest Verstand gab ihm ein, sich zusammenzureißen.
    Dieses Spiel hier war noch nicht zu Ende. Ima saß dem Waräger gegenüber, die Hände im Schoß gefaltet. Das Herz zog sich ihm zusammen, weil er sie so tatenlos anschauen musste, ihre Nervosität spürte und staunte, wie schön sie trotzdem war … Jetzt erhob sie sich. Die Männer fingen an zu brummen, manche ärgerlich, andere schlurften einfach davon, enttäuscht von der Aussicht, dass hier nichts weiter geschehen würde. Aufrecht stand sie da, und ihr helles, abgerissenes Kleid flatterte im heißen Wind, als könnte ihm keine Gefahr mehr etwas anhaben. Der Waräger erhob sich ebenfalls. Gérard spitzte die Ohren, aber vielleicht hatte dieser verdammte Durst ihn auch taub gemacht - er verstand kein Wort von dem, was sie sprachen, was für Verhandlungen sie führten. Ging es um sie, der verfluchte Hurensohn wollte sie doch hier halten und nicht freigeben - was dann?
    Er war sich nicht bewusst, dass er sie gerufen hatte. Nein. Er hatte nicht gerufen, ganz sicher nicht. Er besaß gar keine Kraft mehr zu rufen. Niemals würde er rufen, dazu war er auch viel zu stolz.
    Dennoch drehten sich beide um, das Gesicht des Warägers verfinsterte sich. Imas Züge waren trotz der Hitze bleich und wirkten angespannt. Unwillig zerrte er an seinen Fesseln, ihr Name schmiegte sich in seinen Mund. Sie
kam näher, er sah, wie sie die Hände zu Fäusten geballt gegen die Röcke gedrückt hielt und dass sie seinen Blick mied.
    »Würdet ihr die Männer befreien?«, fragte sie einen dieser Wilden, die sie umringten. Der grinste breit. Seine

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