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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Bisher ist immer alles gut gegangen mit uns, oder?« Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf - sie waren einen weiten Weg miteinander gegangen und, ja - Gott hatte es am Ende immer gut mit ihnen gemeint. Auch wenn ihnen nie eine gemeinsame Zeit vergönnt gewesen war. Doch sie
waren stets am Leben geblieben. Vielleicht ging Ima Ähnliches durch den Kopf, denn zu seiner größten Überraschung beugte sie sich vom Pferd herunter, umfasste seinen Kopf und küsste ihn sanft auf den Mund. »Wenn Gott es nicht gut mit uns meinen würde, dann wären wir tot, Gérard«, flüsterte sie.
    Ihr Gesicht war ganz nah, in ihren Augen schimmerte ein Hauch von Zuversicht. »Er muss es einfach gut mit uns meinen«, lächelte er froh und stahl sich einen zweiten Kuss. Sie nickte und erfüllte ihn mit neuem Mut. Klopfenden Herzens machte er sich auf den Weg zum Totengräber. Sein Schwert hing lose und halb aus dem Gürtel, nur für den Fall, dass er schnell zugreifen musste.
    »Was ist geschehen, Mann? Wo kommen all die Toten her? Und wo ist die Herzogin?«, fragte er aus sicherem Abstand, man wusste ja nie, ob diesen Knechten nicht einfiel, den Reisenden wegen ein paar Münzen zu überfallen. Man hörte immer wieder, wie Krankheit den Menschen veränderte und wie Sünde im Angesicht eines jämmerlichen Todes zu Lässlichkeit schrumpfte. Er hatte schon Überfälle auf weitaus ärmlichere Reisende, als Ima und er es waren, mit angesehen. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Ima sich die Kapuze ihres Mantels über den Kopf zog und ihr hübsches Gesicht verschwinden ließ. Das erleichterte ihn. Diese Frau wusste mit Gefahr umzugehen.
    »Fieber herrscht im Lager«, sagte da der Mann dumpf und lehnte sich gegen seine Harke. »Das Fieber hält Ernte.« Seine magere Hand vollführte eine unbestimmte Bewegung zur Stadt und zum Himmel und fiel dann kraftlos herab. Der Sensenmann, schoss es Gérard durch den Kopf - dann rutschte die Gugel des Mannes vom Kopf, und ein ganz normaler Soldat kam zum Vorschein. »Fieber - vor ein paar Tagen nur wenige Männer und ein paar Kinder. Dann immer mehr. Die Herzogin bestieg das Schiff, als sie zu fiebern
begann. Man schimpfte, dass ihre Ärztin verschwunden sei, denn niemand konnte ihr helfen, nicht einmal ihr Beichtvater.« Er hob die Harke an und deutete zum Meer. »Der Seewind hat das Fieber hoffentlich mit sich genommen. Viele genesen auf See. Viele sterben auch dort, die müssen wir dann nicht begraben. Gestern starb der einzige Priester, jetzt gibt es nur noch ein paar zähneklappernde Laienbrüder und die Vetteln, die sich mit Kräutern auskennen und die sich niemand zu rufen getraut, weil sie Salben von Kinderblut rühren und den Herrn verfluchen. Also - wer jetzt stirbt, der muss das ohne Gott tun. Nichts für Memmen.« Er grinste anzüglich und entblößte eine gehässige Fratze. Der Krieg zeichnete solche Fratzen. Der Krieg nahm auch das Gefühl. Man überlebte nur, wenn man skrupellos genug war. Gérard runzelte die Stirn und trat näher, damit der Mann sah, dass er einen Ritter des Herzogs vor sich hatte - soweit man das an seinen Lumpen noch erkennen konnte. Die Fratze des Krieges nährte die Gier.
    »Wer ist noch in der Stadt?«, fragte er barsch.
    »Wollt Ihr eine Zahl? Die kann ich Euch nicht geben. Sehr viele der Unseren sind davongesegelt, müsst Ihr wissen. Das Heer ist in Auflösung begriffen …«
    »Aber Roger hatte die Anführer doch überzeugt, hinter ihm zu stehen und zu bleiben?«
    »Ja, das hatte er wohl.« Der Mann starrte den Leichenberg an. »Dann kam über Nacht das Fieber, und da hatte auch Roger Borsa keine Mittel mehr, die Männer zusammenzuhalten. Vor allem hatte er kein Brot. Sie haben zu viele Winter für den Herzog gehustet und gehungert …«
    »Ja, das ist wohl wahr.« Für einen Moment schwiegen sie. Den Hunger kannten sie beide, und der Geist des übermächtigen Guiscard schwebte über ihnen und erzählte davon, wie er Männer in viel aussichtsloseren Situationen bei der Stange und bei den Waffen gehalten hatte. Ja, der Guiscard
… Sein Sohn hatte es nicht geschafft - weder das Heer zu versorgen noch sich seiner Treue zu versichern. Roger Borsa war ein Schwächling, da mochte er noch so großspurig in der Gegend herumreisen.
    Die Auflösungserscheinungen waren im Lager von Bundicia allerdings nicht zu übersehen gewesen. Gérard erinnerte sich an die unterernährten, gewaltbereiten Männer und auch an die zu Tode erschöpften Soldaten zwischen zerlumpten Zelten,

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