Die Totenfrau des Herzogs
es braucht. So ist es immer gewesen, seit ich zur See fuhr. Aber Ihr könnt ja beten, sicher könnt Ihr das …«
»Du wirst trotzdem so schnell segeln, wie du kannst«, erwiderte Ima ungerührt und funkelte ihn an. Ihre Müdigkeit war wie fortgeweht, weil es den Anschein hatte, dass hier das Ende ihrer Odyssee in Sicht kam. Wenn tatsächlich auch nur der Zipfel einer Chance bestand, Sicaildis auf Kephalonia noch anzutreffen, würde sie sicheren Fußes nach Hause gelangen! Der Gedanke schmeckte wie ein Becher goldenen Weines und versetzte sie in Hochstimmung.
»Wir holen das Schiff nicht ein, Ima«, warnte Gérard hinter ihr. Sie fuhr herum, dass die bronzenen Kugeln des Mantelverschlusses durch die Luft flogen und ihn fast ins Gesicht trafen.
»Wir holen es ein«, zischte sie. »Wir werden es einholen!«
Gérard verdrehte die Augen. Ihre Streitsucht war zurückgekehrt. Da alle Matten im Ufersand verstreut lagen, half er dem Mann, das Boot zu Wasser zu lassen - das erschien ihm sinnvoller, als sich mit Ima über Dinge zu streiten, die keiner von ihnen wirklich beeinflussen konnte. Und wenn er sich gar zu fragen begann, woher sie schon wieder die Kraft nahm, Widerworte zu geben, würde er vor Ärger doch nur Magenschmerzen bekommen. Sein Magen war nämlich leer, und die Straßen von Bundicia hatten nicht
so ausgesehen, als würde sein Hunger hier gestillt werden können. Und so war es nur bei ein paar Kellen Brunnenwasser für beide geblieben, denn den restlichen Proviant aus dem Warägerlager hatte Ima nach einem kurzen Mahl großzügig Bohemund überlassen. Auch das ärgerte ihn immer noch.
»In welche Richtung wünscht Ihr zu segeln?«, fragte der Fischer gespielt liebenswürdig und fletschte die Zähne. Ima raffte ihr Kleid. Sie streckte die Hand aus, ohne zu schauen, wer ihr helfen würde. Das Wasser netzte ihre Schuhe, doch der Fischer reagierte nicht. Es war nicht seine Aufgabe, Damen durchs Wasser zu tragen, und er würde sich auch nicht dazu auffordern lassen. Gérard schoss Wut durch den Kopf - weil sie nicht warten konnte, weil sie nicht fragte, weil ihr Hochmut unerträglich war. Trotzdem lief er ins Wasser und trug sie ins Boot - weil sich das gehörte und weil er sie so gerne auf seinen Armen trug, obwohl sie es ihm niemals dankte.
Weil sie dort hingehörte.
Der Fischer war ein guter Segler. Nachdem er sie hinaus auf das Wasser gerudert hatte, entrollte er flink die an unzähligen Stellen geflickte Rah, spannte sie zwischen Mast und Spieren und nahm vor dem Wind Fahrt auf. Er hantierte sicher mit beiden Tauen, das Segel schaukelte am Wind und fing ihn auf wie ein Ballon. Dann ließ es sich von ihm zügig vorwärtstreiben.
»Der Wind kommt von Osten, das ist günstig für euch«, brummte der Fischer. »Vielleicht hat Eure Dame ja doch gebetet.«
Sie saß am Vordersteven und schwieg. Stirnrunzelnd betrachtete Gérard, wie der Wind ihr blondes Haar packte und kreuz und quer wirbelte. Als es ihr zu heftig wurde, zog sie sich die Kapuze über den Kopf, sodass er ihr Gesicht
nicht mehr sehen konnte. Doch auch als sie Stunden später die Meerenge von Preveza hinter sich gebracht hatten und aufs offene Meer hinaussegelten, war sie der Fixpunkt seines Horizonts.
Trotz des sonnigen Tages wehte ein frischer Wind. Fröhlich krabbelten die Wellen bis zur Reling hoch; manche spülten sich auch selbst ins Boot hinein, doch waren sie nicht schuld daran, dass der Boden des Fischerbootes bald voller Wasser stand. Da den Fischer das steigende Wasser nicht zu stören schien, versuchte Gérard, es ebenfalls zu ignorieren, obwohl er seine nassen Stiefel bedrohlich fand. Von der Sonne getränkt, glitzerte und funkelte das Wasser, als hätte sich der Sternenhimmel zum Baden hineinbegeben - ließ man den Blick zu lange in der schwimmenden Pracht schweifen, drohte man zu erblinden. Die Hitze auf dem Wasser machte müde, die Lider wurden schwer. Ima dämmerte dahin, und auch Gérard hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Sein Gesicht brannte. Auf den Wangen ertastete er erste Blasen, wo sich die Haut abschälen würde. Er versuchte sich so hinzusetzen, dass ihm die erbarmungslose Sonne in den Rücken schien - das Schwitzen blieb, und dafür brannte nun sein Nacken, davor schützten weder Gambeson noch Kettenhemd. Trotz der langen Jahre, die er sie nun stolz trug, gab es immer noch Zeiten, wo er seine Rüstung verfluchte und sich in den Kittel eines Knappen zurückwünschte. Doch auch diese Reise würde zu Ende gehen
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