Die Totenfrau des Herzogs
er erinnerte sich an Ratten, abgenagte Hundeskelette und daran, was in den Kochkesseln Widerwärtiges geschwommen hatte. Er rief sich hinterhältige Blicke ins Gedächtnis und dass er nackte Tote gesehen hatte, die niemand mehr in ein Grab werfen mochte. Hunger konnte die Lage eines Heeres innerhalb von Stunden kippen lassen. Hunger - oder Fieber.
Der Mann sprach weiter. »Als wir dieses Loch hier schaufeln mussten, segelten die ersten Schiffe davon. Jetzt gibt es keine Boote mehr im Hafen …«
»Was?«, unterbrach Gérard ihn barsch. »Keine Boote mehr im Hafen?«
»Nun, jeder Hauptmann sah zu, dass er hier wegkam, das würdet Ihr wohl auch tun, Herr Ritter«, lachte der Totengräber und stocherte mit der Harke nach der letzten Leiche auf dem Karren. »Wenn Ihr meinen Rat wollt: Seht zu, dass Ihr Land gewinnt und nach Apulien zurückkommt. Mir haben sie für diese Arbeit einen guten Lohn bezahlt - und für die Seele des Robert Guiscard werde ich sie zu Ende bringen und nicht abhauen, wie meine Kameraden das getan haben. Aber wenn ich fertig bin, mache ich mich auf den Weg nach Konstantinopel.« Er grinste gierig. »Man sagt, dort seien die Straßen mit Gold gepflastert und dass jeder Söldner eine edelsteinbestickte Schwerthülle bekommt, wenn er in die Dienste des Basileus tritt. Vielleicht kann ich dort mein Glück machen. Das soll vielen gelungen sein.«
»Wo bekomme ich ein Boot?« Gérard hatte bei dem Redeschwall Mühe, freundlich zu bleiben.
Da schüttelte der Totengräber sich vor Lachen. »Ein Boot? Sonst noch was? Vielleicht noch eine Sänfte für Eure Dame, und zwei Diener, um Eure Schuhe zu putzen?« Mit Schwung rollte er die Leiche vom Karren und gab ihr, als sie fiel, noch einen Tritt. Da sie in ein Leintuch genäht war, sah man zum Glück nicht, wen er da trat, doch Gérard fand diese Grobheit abstoßend. Einst waren ihm Barbareien dieser Art normal erschienen. Einst. Er versuchte es etwas freundlicher.
»Eine Sänfte brauchen wir nicht. Aber ein Boot. Irgendwer wird doch wohl noch eins haben?«
Wer bereit ist, den rechten Preis zu zahlen, dem gehört die Welt. Oder wie in diesem Fall ein Segelboot.
Der Totengräber hatte sie in die Außenbezirke des Hafens geführt - weit genug entfernt von dem Gestank der verlausten Gassen und erst recht weit genug von den Resten der vorgelagerten Guiscard’schen Garnison, die nach der Massenflucht unheimlich und still in der Sonne litt. Nur die grauen Zelte verrieten, dass hier einst eine Armee gelagert hatte, deren Ziel das Gold von Byzanz gewesen war. Selbst der Gedanke an Gold war vom Gestank geschluckt worden.
Überall hatte der Tod Ernte gehalten. Man sah es nicht, aber man roch ihn, und man konnte es in den Gesichtern der wenigen Menschen lesen, die sich in die Hitze wagten, um ihre Geschäfte zu erledigen. Geschäfte, die keine waren, denn niemand hatte hier mehr etwas zu verkaufen. Trotzdem trieben Glaube und Hoffnung und die Furcht, etwas zu verpassen, die wenigen aus ihren Häusern und herüber ans Ufer, wo noch vor einigen Tagen Fischerboote Seite an Seite gelegen hatten und vom einstigen Wohlstand Bundicias
gesprochen hatten. Jetzt war das Ufer nur noch ein Seeufer mit verschmutztem Schlamm und Fischabfällen, in denen Kinder und magere Katzen nach Essbarem wühlten.
Der Krieg hatte einen grauen Schleier über das Land gelegt, und der Friede war zu schwach, um ihn wegzuziehen. Vielleicht konnte er es auch nicht, weil er in Wirklichkeit kein Friede, sondern die Kapitulation eines jetzt verwaisten, herrenlosen Apuliens war, die zwar mit weißer Fahne auftrat, aber bleischwer wie ein Grabmal auf den Menschen lastete. Robert Guiscard hatte das Heer in einer ausweglosen Situation verlassen müssen, weil Gott ihn abberufen hatte. Der graue Schleier bestand aus Tränen und verhinderte eine klare Sicht. Vielleicht hätte Robert das Ruder herumreißen und die verlorenen Besitztümer auf dem Weg nach Konstantinopel zurückerobern können, vielleicht hätte er den Resten seines Heeres Mut einhauchen können, um zumindest den Rückzug erhobenen Hauptes durchzustehen. Doch Robert Guiscard lebte nicht mehr, und die Apathie, die sein Tod ausgelöst hatte, wirkte wie ein tödliches Gift.
Das jedenfalls empfand Ima, die näher an Gérard heranrückte und ihre Kapuze noch tiefer ins Gesicht zog. Ihr Mantel - das Geschenk Bohemunds - war auffällig genug; mehr als einmal hatte eine gierige Hand danach gegriffen. Halb nackte Huren sah man in schmuddeligen
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