Die Totenfrau des Herzogs
hören, schweigend kämpfte sie um ihr Gleichgewicht und gleichzeitig weiter gegen ihn. Als sie den Fuß des Abhangs erreicht hatten und das Pferd pumpend vor Anstrengung stehen blieb, schlang er die Arme um sie und erstickte jeden weiteren Protest in einer viel zu brutalen Umarmung.
»In meinem verdammten Leben ist auch Platz für eine Frau, die sich für eine Dirne hält«, sagte er schwer atmend, ohne seinen Griff zu lockern.
Er verstand nichts.
Gar nichts. Tränen brannten in Imas Augen. Aber was wollte man auch von einem Mann erwarten. Trotzdem tat seine Stimme gut und dass er sie so festhielt. Sie ließ es geschehen. Sie setzte sich sogar rittlings vor ihn und ließ es zu, dass er den Arm um sie legte, und sie schlang ihre Hände um diesen Arm, nicht nur, um besser Gleichgewicht halten zu können. Und wenn sie vor ihm saß, sah er auch nicht, dass sie weinte - sie hätte ihm ja nicht einmal erklären können, warum.
Sie sprachen nicht mehr. Für Worte war es viel zu warm. Der Wald hatte sich noch verschwenderisch mit angenehmer Kühle dargeboten, doch im Uferland des großen Sees
verirrte sich der Wind irgendwo zwischen den Büschen und hinterließ nichts als stockende, flirrende Hitze. Nicht einmal das Schilf am Ufer bewegte sich, kein Vogel flatterte auf. Staub drang ihnen in die Lungen und biss sie in den Augen, je schneller sie ritten. Ima war froh, dass sie den Brandgeruch hinter sich gelassen hatten - das sprach zumindest dafür, dass sie in die richtige Richtung unterwegs waren, denn im gleißenden Licht konnte man nicht einmal mehr sagen, aus welcher Himmelsrichtung eigentlich die Sonne schien. Vor Erleichterung wurde ihr unerwartet schwach. Ohne es zu wollen, sank sie an Gérards Brust in sich zusammen - er hielt sie, viele, viele Stunden lang und sorgte dafür, dass sie nicht vom Pferd fiel.
Irgendetwas hatte sich im Lager von Bundicia zugetragen.
Gérards Kriegersinne erwachten, als sie sich der nach Unrat und Fäkalien stinkenden Ebene näherten, wo die Sonne ungehindert ihre Glut auf die beschädigten Palisaden der Festung schleuderte.
Die Pferde waren aus den Sümpfen verschwunden. Vor zwei Tagen hatten sie noch hartes Ried und Dornen geknabbert und bis zu den Fesselgelenken im Wasser gestanden. Jetzt gähnten dort leere Flächen, und nur dicke schwarze Mückenschwärme hielten die stickige Luft in Bewegung. Man sah wohl Speere an den Palisaden entlangwandern, und auch die Tore waren bewacht. Trotzdem fühlte Gérard Unruhe in sich aufsteigen.
Der Verwesungsgeruch raubte ihnen den Atem, als sie näher ritten. Fieber und Pestilenz forderten offenbar tägliche Opfer. Westlich des Lagers erkannte er ein breites Loch, welches als Massengrab diente. Ein Eselskarren stand neben dem Loch, jemand lud gerade Leichen ab. Wie lange Kleiderwülste fielen sie vom Wagen und blieben verrenkt liegen. Wenn Tote solch groteske Beweglichkeit zeigten,
war das ein Zeichen, dass sie schon länger gelegen hatten. Stirnrunzelnd wischte er sich Schweiß und Schmutz aus dem Gesicht. So etwas lernte man auf den Schlachtfeldern beim Einsammeln toter Kameraden. Fremd war der Tod Gérard de Hauteville nicht, er hatte in seinem Leben schon viele Leichen gesehen. Doch in dieser übel riechenden Ausprägung war es besonders widerwärtig. Und dass man die giftigen Dämpfe der vom Fieber Dahingerafften besser mied, weil sie den Tod brachten, wusste er als Krieger auch.
Hastig überlegte er, wie er Ima Gestank und Anblick ersparen und trotzdem herausfinden konnte, was hier passiert war. Der Totengräber nahm ihm die Gedanken ab.
»Besser, Ihr reist weiter, Leute«, schrie er über den Karren hinweg. »Besser, Ihr geht nicht nach Bundicia, dort wartet nur Verderben!«
Gérard überlegte kurz. Dann strich er Ima über die Schultern und rutschte hinter ihr vom Pferd. Sie übernahm den Zügel. »Pass auf dich auf, Gérard«, raunte sie beunruhigt, »da liegen zu viele Tote. Müssen wir wirklich dorthin? Können wir nicht dran vorbei …«
Er schaute zu ihr auf und schüttelte den Kopf. »Ich muss hinüber. Zumindest, um zu erfahren, was hier los ist. Davon hängt ab, wie und wo wir hier wegkommen. Vielleicht ist die Herzogin schon abgereist.«
Imas Augen weiteten sich; er erkannte, dass sie sich darüber keine Gedanken gemacht hatte und in jener Nacht wirklich unüberlegt losgeritten sein musste.
»Ja«, flüsterte sie, »du hast recht. Aber was dann …?«
Er versuchte ein halbes Lächeln. »Das sehen wir dann.
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