Die Totenfrau des Herzogs
umflatterte der Geruch Ima, suchte unermüdlich nach verborgenen Pforten, um an ihre Nase zu dringen und Erbrechen auszulösen. Doch der Beifußzauber war stärker, und so roch sie den süßlich-stechenden Schwall nur entfernt. Noch einmal rieb sie sich mit dem Zauberkraut ein und verstärkte ihren Schutz. » Magon wið nygon wuldorgeflogenum, wið VIIII attrum and wið nygon onflygnum … « Wie eine zäh fließende Honigwolke umgab der Geruch daraufhin ihren Kopf und versuchte, ihr die Sicht auf den Toten zu nehmen, wenn sie schon gegen seinen Widerstand zu atmen vermochte. Ima warf ein paar der ihr verbliebenen Beifußsamen in die Luft. Der Geruch zerfloss, um sich hinter ihrem Rücken rachsüchtig aufs Neue zu vereinigen und an sie heranzumachen.
» Wið ðy readan attre, wið ðy runlan attre, wið ðy hwitan attre, wið ðy wedenan attre «, beschwor Ima ihren Schutz und tat den letzten Schritt auf die Bahre zu. »Da liegt Ihr nun, mon seignur , der Verwesung preisgegeben. Ich will Euch Eure letzte Reise so angenehm machen, wie ich kann.« Sie nahm allen Mut zusammen und zog an der bestickten Decke, die man über den Toten gebreitet hatte.
Der Priester fuhr aus seinem Weihrauchdunst hoch. »Geht fort mit Eurem Zauberkram«, schimpfte er schwach, »wir haben alle Eure Zauberdinge entfernt und auch neue Kohle geholt und gesegnet und Weihwasser gegen Euren Zauber versprengt und …«
»Und das alles hat nichts geholfen«, unterbrach sie ihn erregt. Der magische Kreis wurde daraufhin schwächer, ihre
Sinne begannen vor den Pranken des Geruchs zu taumeln. Sie durfte sich nicht stören lassen, nicht zulassen, dass der Schutz durch Ärger zerbrochen wurde … »W ið ðy wonnan attre, wið ðy brunan attre, wið ðy basewan attre … «
»Alles haben wir weggeworfen«, giftete der Priester da, »alles - unser Herzog braucht keine Zaunreiterinnen, um durchs Fegefeuer zu gehen …«
»Nein, die braucht er nicht«, sagte sie heftig. Sie war keine Zauberin, keine völva und keine túnriða. Hier wollte sie nur ihre Arbeit tun, und das, bevor der Totengestank sie dahinraffte, wie er es mit Thierry und allen anderen getan hatte. Und der Herzog von Apulien würde nicht ins Fegefeuer müssen, da war sie sich sicher. So jemand hatte ein Abkommen mit Gott. Im Übrigen hatte der Priester nicht die Wahrheit gesprochen, denn der Topf mit dem Wachs stand noch zwischen den verschmutzten Laken, die niemand weggeräumt hatte, daneben lag ein Stapel getrockneter Kräuter.
Du schaffst es nicht allein, lachte der Geruch, ich krieg dich schon noch, ich weiß, wo deine Nase sitzt. Mit jedem Schritt, den sie tat, umschwärmte er sie mit schmieriger Eleganz, zupfte an ihrem Ekel und an dem Beifußzauber - vielleicht war der ja doch an einer Stelle schwach oder durchlässig geworden … Ich krieg dich schon, dann liegst du sterbend am Boden, wie dieser Mönch …
Und dann sang die Nachtigall. Wie in jener Nacht, als der Herzog starb, segelte ihr perliges Weinen auf den Schwingen der Dunkelheit, um Trauer und Entsetzen in feine Federn zu kleiden, auf dass sie im Morgengrauen befreit und leicht davonfliegen konnten. Sie erleichterte das Herz und nahm mit ihrem Gesang den bleischweren Mantel der Angst von den Schultern. Hingerissen lauschte Ima dem verborgenen Vogel, dem die Natur offenbar eingab, wo er Trost spenden konnte.
Dennoch spürte sie auch, dass ihr nicht viel Zeit blieb, und so riss sie sich los vom Zauberlied aus der Dunkelheit. Mit Schwung hob sie den Wachskessel in die glühenden Kohlen und fachte das Feuer an. Den Priester abzuwehren war nicht schwer - kaum wehte nämlich der Weihrauch in eine andere Richtung, hustete der Mann. Sein lallender Protest verklang; sie nahm kaum noch wahr, dass er sich, vom beißenden Leichengeruch doch erwischt, erbrach und flennend aus dem Zelt kroch. Jetzt war sie allein, und es wurde leichter, sich noch einmal zu versenken und ihren Schutzkreis zu verstärken.
» Wið ðy readan attre, wið ðy runlan attre, wið ðy hwitan attre, wið ðy wedenan attre «, murmelte sie und streute von den Kräutern in die Kohle. Entsetzt fuhr der Geruch zurück, als Thymian aufloderte. Ima nutzte die Pause und zerrte Decken und Wachstücher vom Leichnam des Herzogs. Es war abzusehen gewesen, dass sie den Verwesungsprozess nicht würde aufhalten können, doch was sie unter den Tüchern vorfand, brachte Ima an den Rand ihrer Fassung. Nichts erinnerte mehr an den Herzog. Ima biss sich unter dem Mundschutz
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