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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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Fall auffordern, das Zelt zu betreten, und überhaupt war alles so schwierig geworden …
    Thierry murmelte etwas hinter ihr und reichte ihr mit nachdrücklicher Geste einen Beutel. Sie warf einen kurzen Blick hinein und nickte. Dann drehte sie sich ein letztes Mal zu Gérard um, weil sie den Gedanken nicht zu Ende gedacht hatte. Er kniete immer noch so da, und ihr Name hing wie ein verwehender Ruf zwischen ihnen. Eine Träne
rann in ihr Tuch, und sie war froh, dass er ihre zitternden Lippen nicht sehen konnte.
    Die Träne aber hatte er gesehen.
     
    Im Inneren des Zeltes brannten nur noch wenige Kerzen. Es gab ja auch nur noch einen Priester, der diese Kerzen unterhielt, aus einem Vorrat, welcher rasch dahinschmolz und nicht ergänzt werden konnte, weil es keine Kerzen mehr gab. Die Zeit des Guiscard auf Kephalonia war endgültig vorbei.
    »Dulcis et rectus Dominus, propter hoc peccatores viam docebit; diriget mansuetos in iudicio, docebit mites vias suas.«
    Klein klang die Stimme des Priesters. Er hing schwankend über dem Weihrauchbecken und sang selbstvergessen die heiligen Verse, seine Atemluft aus dem rauchenden Kraut saugend, weil alles andere bis in den letzten Winkel verpestet war. Und es war nicht auszumachen, ob ihn der Weihrauch im Gesangswahn gefangen hielt oder jener Dämon, den Gérard gemeint hatte, der das Zelt mit seiner ekelhaften Anwesenheit bis in alle Ritzen ausfüllte. Der Priester sah nicht auf, er schaute überhaupt nirgendwohin, er sang nur, mal laut und mal weinerlich, in die Schwaden des Weihrauchs hinein, die ihn gnädig am Leben hielten. Ima fuhr zurück. Gott war nicht mehr hier.
    Schon am Eingang fingerte der Leichengeruch mit glitschigen, bräunlichen Fingern nach ihnen. Das lavendelgetränkte Tuch ist lächerlich, bemerkte er höhnisch und schlüpfte durch die Poren des Stoffs, um an ihren Nasen herumzuspielen und sie im Rachen zu kitzeln. Genüsslich spie er ihnen alten Schleim und Galle hinter die Tücher und hauchte zusätzlich von außen seinen stinkenden Atem auf den Stoff. Thierry riss das Tuch vom Gesicht und erbrach sich, ohne einen Schritt zur Seite weichen zu können, auf den dicken Teppich. Weinend vor Ekel brach er zusammen.

    Der Geruch lachte lautlos und gehässig und wandte sich Ima zu, die sich ihr Tuch mit den Lavendeltropfen trotzig auf die Nase drückte. Na warte, flüsterte er, lern auch du mich kennen … Und er zupfte an den Lücken und spuckte faulende Tropfen an ihre Haut, auf dass sie unter das Tuch rannen und ihr Gedächtnis mit stechender Säure auf immer verätzten … Vergiss mich nicht, flüsterte der Geruch, vergiss mich niemals …
    Sie blieb stehen, schloss die Augen. Viel Zeit hatte sie nicht, sie spürte, wie auch ihr der Ekel durch den Leib stieg und sie zu überwältigen drohte. Alles, was dagegen hätte helfen können, lag außerhalb des Zeltes. So musste die Kraft ihres Willens ausreichen, zusätzlich zu dem, was sie in ihrer Rocktasche fand - und was sie von ihren Lehrerinnen daheim auf Lindisfarne gelernt hatte. Im Geiste zog sie einen magischen Kreis um sich herum - einen, der sich mit jedem ihrer Schritte bewegte und der sie dennoch schützte und das Böse von ihr fernhielt. Einen Kreis, der besonders schwer zu halten war, weil man viel Kraft dafür benötigte - und sie griff in die Gürteltasche. Es war der Beifuß, welcher bei ihr geblieben war. Beifuß - das stärkste aller Schutzkräuter. War es Zufall? Mit zitternden Händen zerrieb sie ihn und fuhr sich mit den Spuren über das Haar, die Brust und den Leib.
    » Gemeyne ðu, mucgwyrt «, flüsterte sie hinter dem Tuch und wagte den ersten Schritt. » Hwæt þu a ameldodest, hwæt þu renadest æt Regemelde .« Der Geruch folgte ihr zischend, umtanzte sie mit wirbelnden Händen, bereit, in ihre Sinne zu dringen, sobald sich eine Schwachstelle finden ließ. » Una þu hattest, yldost wyrta, þu miht wið 3 and wið 30 «, sang sie mit zitternder Stimme, weil das Übel spürbar von ihr wich, » ðu miht wiþ attre and wið onflyge, ðu miht wiþ þam laþan ðe geond lond færð …« Sie näherte sich der Aufbahrungsstätte, wo wie ein riesiger Berg der Herzog
Apuliens in seinem notdürftigen Wachsmantel lag und dem ewigen Leben entgegenschlummerte.
    »Respice in me et miserere mei, quia unicus et pauper sum ego. Dilata angustias cordis mei et de necessitatibus meis erue me«, kam es leise vom Kohlebecken. Der Priester schien nichts bemerkt zu haben.
    Der magische Kreis blieb. Fluchend

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