Die Totenfrau des Herzogs
«, jammerte der eine Knappe. »Tut es nicht - gestern starb jemand!«
»Ima! Lass ab!«
Sie fuhr herum. Gérard kam zwischen den Feuern auf sie zugestürzt und packte sie an den Armen. Zum Entsetzen der Zuschauer rangen sie miteinander, wie es sich vor dem Lager eines Toten ganz sicher nicht gehörte. Ima kämpfte mit Händen und Füßen gegen seinen Griff, versuchte sich loszureißen und seinem Griff zu entkommen.
»Ima, geh nicht hinein - sei nicht närrisch!« Seine Aufregung war maßlos, so hatte sie ihn noch nie erlebt. Sie ließ nach, und er packte sie noch fester. Ihr Herz klopfte wild, als sein Gesicht direkt vor dem ihren auftauchte. »Gestern haben sie jemanden herausgetragen, der noch in derselben Nacht starb! Niemand kann das Zelt betreten, sie sagen, dass ein Dämon es bewacht!«
»Unsinn, was redest du da …«, unterbrach sie ihn beunruhigt. »Unsinn …«
»Ein Dämon, Ima! Er vergiftet jeden, der sich dem Toten nähert - ich habe sie gefragt!«
Sein Griff lockerte sich, und sie versuchte, bei der Gelegenheit seine Hände abzustreifen. »Mir geschieht nichts, lass mich meinen Dienst verrichten, Gérard …«
»Ich verbiete dir, in das Zelt zu gehen!«, donnerte er unvermittelt, und es wurde still.
Fassungslos starrte sie ihn an. Ihre Arme erschlafften. Sofort ließ er sie los. »Du tust … was?«, fragte sie langsam. » Was tust du …?« Die Knappen schlenderten neugierig näher - lautstarke Streitereien hatte es seit des Guiscards Tod nicht mehr im Lager gegeben, und diese merkwürdige Ärztin faszinierte allein schon durch ihr Aussehen. Würde der Ritter ihr zeigen können, wo eines Mannes Waffen hingen?
»Ich möchte nicht, dass du dieses Zelt betrittst.« Er versuchte, seinen Tonfall zu mäßigen, obwohl ihm das ganz offenbar schwerfiel. »Ich möchte nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Ist das so schwer zu verstehen? Es ist doch nur zu deinem Schutz, Ima.« Beschwichtigend hob er die Hände, weil sie mit gerecktem Kopf auf ihn zuschritt.
»Zu meinem Schutz.« Spöttisch hob sie die Brauen und unterdrückte den Drang, ihm die Fingernägel in die Wangen zu graben, weil ihr Zorn grenzenlos zu werden drohte. »Zu meinem Schutz. Soll ich dir was sagen?« Sie warf den Kopf in den Nacken, und ihr blondes Haar tanzte wild auf dem Rücken. »Ich pfeife auf deinen Schutz, Gérard de Hauteville. Du schaffst es nicht mal, einen Mönch vor Gewalt zu beschützen - was soll ich da für einen Schutz von dir erwarten? Ein toter Herzog wird kaum so über mich herfallen, wie es zehn lebendige Krieger mit Bruder Thierry getan haben! Und der tote Herzog wird mich auch nicht zwingen, um das Leben eines unbedachten Mannes zu spielen und darüber beinah mein eigenes Leben zu verlieren.« Jetzt stand sie dicht vor ihm, und ihre Wut auf ihn schmerzte so sehr. »Ein toter Herzog wird mir kein Leid zufügen! Lass mich also in Frieden mit deinem verdammten Schutz …«
»Ima, sei doch vernünftig, niemand kann von dir verlangen, dass du dich in Gefahr begibst …«, unterbrach er sie heftig, doch sie hatte sich schon von ihm abgewandt und band Thierry ein Tuch um Mund und Nase. Er hatte ihr überhaupt nicht zugehört. Hatte nichts von dem wahrgenommen,
was sie gesagt hatte! Ihr Zorn loderte höher, und sie drehte sich noch einmal zu ihm um.
»Ich brauche dich nicht, Gérard.«
Er blieb stumm. Ihr Satz schien ihn wie einen Fluch zu treffen. Seine Schultern sanken herab, Entsetzen malte sich auf seinem Gesicht. Sie spürte, dass sie zu weit gegangen war, in ihrer Ungerechtigkeit möglicherweise zu viel zerschlagen hatte. Er konnte nicht alle Schuld der Welt auf sich nehmen, nur weil er unbedacht gehandelt hatte.
Und, ja - wo begann das unbedachte Handeln? Ihr Herz klopfte immer noch so wild, doch ihr Zorn verrauchte. Sehr langsam verknotete sie das Tuch hinter ihrem Kopf. Es würde den Gestank kaum abwehren. Überdies vermischte der sich gerade mit dem Geruch ihres schlechten Gewissens …
Als sie wieder aufschaute, war Gérard auf die Knie gesunken. Sehr aufrecht kniete er da, in einer Haltung, die von Stolz und Trotz zugleich sprach.
»Was … tust du da …?«, fragte sie fassungslos.
»Ich bete für dich.«
Sie starrte ihn an. »Du … du hast noch nie für mich gebetet.«
»Dann tu ich es jetzt zum ersten Mal, Ima.«
Für einen stillen Moment trafen sich ihre Blicke, und seine Sorge rührte sie an. Dennoch gab es keinen Grund, sich davon beeinflussen zu lassen - Sicaildis würde sie in jedem
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