Die Totenfrau des Herzogs
den kleinen Mönch, dessen Verkleidung zur schrecklichen Farce geworden war. Einst ausgezogen, um ihren nach Jerusalem gewanderten Geliebten zu suchen, war Thierry wie Treibgut auf der Strecke geblieben und von den Winden des Schicksals umhergeworfen worden. Ihre Sicherheit unter der Mönchskutte hatte sich als trügerisch herausgestellt - sie teilte die grausame Geschichte unzähliger Frauen im Krieg.
»Trota wird dir helfen«, flüsterte sie, »Trota wird dich wieder gesund machen. Lass uns nach Hause gehen und vergessen …«
»Vergessen«, hauchte Thierry. »Vergessen, ja …« Beide wussten sie, dass nur der Tod Vergessen schenkte.
Niemand im Lager schien schlafen zu können. Die letzte Nacht des Herzogs von Apulien bei seinen Männern war auch die längste, überall hörte man Gesang und Gebrumm, nächtliche Spaziergänger schlenderten umher, irgendwo beschlug jemand fluchend ein Pferd. Durch die Zeltreihen drang Kochdunst - Fleisch. Vielleicht hatten sie eine der Ziegen geschlachtet, die im Lager frei herumliefen und offenbar den Einheimischen abgenommen worden waren. Ima verzog das Gesicht. Auf dem Schiff hatte sie das letzte Mal ein Essen zu sich genommen, danach war ihr der Appetit vergangen. Das Lager von Kephalonia erinnerte sie zu sehr an Bundicia …
»Euer Wasser, ma dame .« Der Knappe stellte eine Kupferschüssel neben das Zelt und verdrückte sich schnell wieder. Ima grinste vor sich hin. Ob ihn der Mönch in ihren Armen in die Flucht geschlagen hatte? Nichts wussten sie. Gar nichts.
Bevor ihre Gegenwart nächtliche Wanderer auf den Plan rufen konnte, zog Ima das Kleid aus ihrem Bündel über und tauchte einen Leinenfetzen in die schlierige Brühe im Kupferbecken, um sich Schweiß und Blut abzuwaschen. Das Wasser stank nach Latrine. So etwas fiel hier niemandem mehr auf. Sie war sich sicher, dass Kephalonia nicht mehr viel vom Fieber trennte und dass die von langem Kriegsdienst geschwächten Männer eine weitere Fieberwelle nicht überstehen würden. Angewidert rubbelte sie sich mit einem trockenen Lappen über das Gesicht.
»Lass gut sein«, raunte Thierry, »das Schiff soll bei Sonnenaufgang ablegen - wir sind bald zu Hause, wo es sauberes Wasser gibt.« Das Feuer offenbarte ein schüchternes Lächeln, einen Blick voller Sehnsucht nach geordnetem Leben
und Hoffnung auf Vergessen … Ima drückte sie zärtlich an sich.
»Du hast recht. Für die Herzogin sollte das reichen. Vermutlich würde ich es ihr nicht einmal in einem Festtagskleid recht machen können.« Sie umarmten sich, dann riss Ima ihr altes Kleid entzwei. Die Rückseite bot ein paar Stücke ohne Blutflecke. Aus ihrem Beutel zog sie eine Phiole mit Lavendelöl hervor und tränkte die Lappen mit ein paar Tropfen.
»Glaubst du, das hilft?«, fragte Thierry zweifelnd. Ima zuckte mit den Schultern.
»Sie wird mich zwingen, noch einmal nach dem Herzog zu sehen.« Sie ließ die Hande in den Schoß sinken. »Sie wird mich zwingen, um mich zu quälen. Weißt du - lieber gehe ich jetzt und bereite alles vor, als … als morgen früh, wenn alle zuschauen.«
»Wir werden sie wissen lassen, dass alles vorbereitet ist«, versicherte Thierry und strich ihr über die Hände. »Sie hat dich nicht zu quälen.«
»Nein, eigentlich nicht«, lächelte Ima mutlos. Jedermann wusste, dass Sicaildis von Salerno genauso ungerecht und mitleidlos wie ihr verstorbener Gatte sein konnte - und dass ihr grenzenloser Unmut jeden traf, ungeachtet seines Rangs und seiner Verdienste. Darin übertrumpfte Sicaildis den Herzog. Der war zwar weitaus grausamer gewesen und hatte auch vor Verstümmelungen nicht zurückgeschreckt, wenn ihm danach gewesen war, doch hatte er immer gewusst, wie er sich der Treue seiner Gefolgsleute versicherte. Für seine Großzügigkeit hatten sie ihn geliebt. Diesen Spürsinn besaß seine Gattin nicht. Ima ahnte, dass sie sich durch den unerlaubten Ausflug Sicaildis’ Sympathien verscherzt hatte, möglicherweise für immer. Ohne dass die Herzogin wissen konnte, dass ihr Mordplan vereitelt worden war. Allein ihre Herrschsucht war herausgefordert worden, von
einer Frau, deren ungeklärter Rang sie schon länger in Unruhe versetzte.
Ima machte sich über ihre Zukunft in der Residenz wenig Illusionen.
Niemand hinderte sie daran, das Zelt des verstorbenen Herzogs zu betreten. Einzig die Knappen ließen kurz von ihren Feuern ab und staunten ungläubig, dass die beiden ernsthaft auf den Eingang zuliefen.
»Tut es nicht, ma dame
Weitere Kostenlose Bücher