Die Totenfrau des Herzogs
, murmelte sie das einzige Gebet, welches sie je aus dem Munde ihres heidnischen Vaters gehört hatte, »super aquas quietis eduxit me, animam meam refecit …« , und sie schämte sich für ihr Zittern und für ihre Angst, als sich das Schiff gefährlich auf die Seite neigte und der Mast knarzte, als wollte er gleich brechen. »Nam et si ambulavero in valle umbrae mortis, non timebo mala, quoniam tu mecum es …« Sie klammerte sich an die Bank, versuchte, die Bewegungen des Schiffes mitzumachen, sich vorzustellen, dass sie auf einem bockenden Pferd saß, doch die Vorstellung verursachte ihr nur noch mehr Übelkeit. Weiter vorn schrie Sicaildis wie am Spieß. Vielleicht war sie gefallen, oder jemand war ertrunken, oder ihre Nerven hielten es nicht mehr aus. Ima fühlte nichts als Kälte und Einsamkeit - nasse, unmenschliche Einsamkeit …
Das Kreischen der Herzogin war verklungen. Hatte man ihr geholfen? Gab es Hilfe in Todesnot, oder schaute jeder nur, dass er selbst überlebte? Ima konnte sich nicht mehr an die Dienerin erinnern. War sie auf dem Schiff? Die Männer der Leibwache? Gesichter verschwammen vor ihrem geistigen Auge, dann kam der Mageninhalt hoch und vertrieb sauer jeden Gedanken an Menschen, die in den letzten Tagen ihren Weg gekreuzt hatten. Sie verlor die Kontrolle über sich, hing würgend über der Bank, wie all die anderen auch. Als es vorbei war, fühlte sie sich zu schwach, um nach ihren verschmutzten Kleidern zu sehen. Weinend wischte sie sich nur den Mund sauber. Vom ekelhaften Geschmack wurde
ihr gleich noch mal schlecht, und diesmal war es ihr noch gleichgültiger, wohin sie sich erbrach. Auch Marc de Neuville konnte ihr keine Hilfe mehr sein, er war zwischen die Bänke gesunken und rührte sich nicht mehr. Vielleicht war er schon tot. Die Laterne am Mast schaukelte so wild, dass ihr vom Zuschauen ein weiteres Mal schlecht wurde, dabei war der Magen doch längst leer. Trotzdem war es besser, diese Laterne zu fixieren, als in das grässliche Ungetüm der Dunkelheit zu starren, von dem sie nicht mehr wusste, wo oben und unten war oder ob es sie wie ein geflügeltes Raubtier von der Seite anspringen würde, wie die Gepäckstücke, die durch die Luft flogen, weil man sie nicht ausreichend festgezurrt hatte und niemand danach schaute. Eine der Truhen verfehlte den Mast nur um ein Haar und zersplitterte neben Imas Bank. Wie glänzender Hohn quollen golddurchwirkte Gewänder hervor - Kriegsbeute, die hier niemandem mehr von Nutzen sein würde, nach der der Teufel aber vielleicht gierte. Kraftlos schob Ima die Trümmer der Kiste von sich, um nicht davon getroffen zu werden. Doch mit jedem Wellental rutschte die Truhe wieder auf sie zu, und nur eine Kante der zerborstenen Bank konnte sie bremsen.
Bevor das riesige Segel sich wieder drehen konnte und das Schiff zur leichten Beute machte, gelang es einigen wagemutigen Männern, am Mast entlangzuklettern und die Leinwandbahnen zu reffen. Einer von ihnen wurde von der flatternden Segelkante am Kopf getroffen und kippte hinterrücks über die Bänke. Die beiden anderen schafften es brüllend vor Anstrengung, das Segel ohne weitere Hilfe hinabzuzerren. Keinen Moment zu früh, denn nun machte der Sturm Ernst und blies dem Heer der Finsternis zum Angriff. Wilde Ungeheuer erhoben sich aus den Wogen, krümmten sich und tauchten unter dem Schiff hinweg, während ihre Schwänze unheilbringend durch die Luft peitschten und Holz zertrümmerten.
Das Schiff ergab sich dieser düsteren Macht, begann zu schlingern. Dem Rhythmus der aufgebrachten See war es entglitten und nun manövrierunfähig. Splitternd brach sein Ruder, dann kippte der kürzere Mastbaum, begrub Menschen unter sich. Eine der Laternen beleuchtete, dass der Katafalk umgekippt war. Überall schrien Menschen in Todesangst, geisterten weiße Arme durch die Dunkelheit, und niemand hörte mehr, wenn jemand über Bord ging. Ima reckte sich aus ihrem engen Gefängnis empor, suchte hilflos - doch da war niemand, den sie kannte, niemand, der ihr Trost spenden konnte … Gérards Augen brannten auf ihrem Gesicht. Quer über das lange Schiff hatte er sie immer noch im Blick, und seine Augen waren wie zwei Arme, die sie hielten, damit sie nicht über Bord ging. Sie hielt sich daran fest, es war das Einzige, was Bestand hatte, während über ihnen die Wellen hereinbrachen und sich daranmachten, das Schiff zu verschlingen.
Vielleicht hatte er ihr Flehen erkannt, denn mit einem Mal sprang er von seinem Sitz
Weitere Kostenlose Bücher