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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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herunter und kämpfte sich durch das Gedränge auf den Bänken hindurch, und die Laterne erzählte, dass er dabei nicht zimperlich vorging: Wer ihm nicht weichen wollte, ging zu Boden. Bank um Bank ließ Gérard hinter sich, und vielleicht hatte er genau den richtigen Moment gewählt, um zu ihr zu gelangen, denn der Seegang nahm so heftig zu, dass sich bald niemand mehr über das Schiffsdeck würde bewegen können. Angsterfüllt ließ Ima ihren Blick über das spärlich erhellte Deck gleiten. Wo war er? Das Gebetsgejammer der Priester nervte und schien Gott nicht zu erreichen.
    »Ima!« Mit einem Sprung sank er neben sie, umklammerte sie wie einen wiedergefundenen Schatz, und es brauchte keine weiteren Worte. Sie weinte, er hielt sie fest, auch als die Übelkeit wiederkam und weiter vorn sich eine hungrige Woge Menschenzoll holte.

    Der Katafalk flog düster durch die Luft, und für einen Moment glaubte sie, den in weiße Binden eingewickelten Leichnam umherfliegen sehen. Nein - sicher eine Dämonengaukelei. Das konnte ja gar nicht sein. Weiter vorn schrien sie, als eine Welle das Schiff kalt von der Seite erwischte, dann tauchte die weiße Gestalt zwischen den Laternen wieder auf. »Der Herzog!«, brüllte jemand. »Der Herzog ist zurück!« Der Kopf tauchte hier auf, und dort, unheimlich und gespenstisch weiß …
    »Der Herzog ist zurück!«, hallte es aus allen Richtungen, und durch das Schiff schien ein Ruck zu gehen, als sie aufsprangen, das Gleichgewicht verloren, stürzten, weiter schrien: »Der Herzog ist zurück!«
    Einmal noch war die weiße Gestalt zu sehen, deutlich erkannte man den bandagierten Kopf und die hellen Lappen, mit denen der Körper umwickelt war. Ima war fassungslos - wie konnte er stehen, wie konnte er sich bewegen, sie hatte doch gesehen, wie sein Körper sich auflöste! Sie war Zeugin seines Sterbens gewesen! Hatte Gott seine Hand im Spiel? Oder wurden sie gar alle närrisch vor Angst? Selbst Gérard neben ihr hatte es die Sprache verschlagen, sie spürte, wie er erstarrt neben ihr saß. Doch die weiße Gestalt war Wirklichkeit, mal aufrecht, mal gebeugt, mal nur ein Schemen, die Idee einer Erscheinung …
    Um sie herum ertönten die alten Schlachtrufe, Schwerter trommelten rhythmisch auf den Schiffsrumpf. »Guiscard! Guiscard! Guiscard!«, kam es wie aus einer einzigen Kehle, und der Ruf erfasste die Männer. Er hob die bangen Herzen, straffte verzagte Schultern, verschaffte Mut in der Aussichtslosigkeit, Hoffnung auf Rettung. Sie stimmten ein Schlachtlied an, eins, das sie einst zusammen stark gemacht hatte, mit dem sie gemeinsam Gefahren angegangen waren und harte Prüfungen bestanden hatten … das Lied erschütterte das ganze Schiff, und beinah beeindruckte es
die Ungeheuer, die ihnen nach dem Leben trachteten und gegen die ihre Schwerter machtlos waren.
    Doch nur beinah. Von hinten rollte eine riesige Woge heran und nahm den Kiel hoch.
    Ima wischte sich den Mund ab - war es nicht irgendwann vorbei, wieso quälte sie das Erbrechen denn immer noch … sie versuchte, eine Melodie zu summen, wie die Mutter es sie gelehrt hatte, um Situationen auszuhalten, die eigentlich unerträglich waren. Es half nicht. Beten half auch nicht. Beten half nie. Das Schiff schien ihr über den Kopf zu wachsen, Männer, die sich am Bug aufgehalten hatten, flogen durch die Luft. Neben ihr stolperte jemand schreiend über die Bank, dabei ergriff ihn die Gischt, und er verschwand in der Dunkelheit.
    Schluchzend klammerte sie sich an Gérard, der seinen rechten Arm um den Mastbaum gehakt hatte, damit die Wucht der Wellen ihn nicht von ihr fortriss. »Was auch geschieht, Ima - atme!«, schrie er ihr durch den Lärm zu. »Vergiss das Atmen nicht, hörst du?«
    Seine Hand lag an ihrem Kopf, und vielleicht waren seine Lippen ein letztes Mal auf ihrem Gesicht, als das Schiff kippte, sie beide gegen die Ruderbank schleuderte und der Lärm des Jüngsten Gerichts die Welt verschlang.

ZWÖLFTES KAPITEL
    Sei dankbar für alles, was auch immer da kommt, weil jeder gesandt wurde als Führer dessen, der von weiter herkommt.
    (Rumi)
     
     
    D ominus pascit me, et nihil mihi deerit: in pascuis virentibus me collocavit …«
    Wie oft hatte sie den Psalm nun gestammelt? Fehlten Worte? Waren sie ins Wasser gefallen, erfroren? In der Dunkelheit verschwunden? Ertrunken, wie so viele Menschen um sie herum?
    »Dominus pascit me, et nihil mihi deerit: in pascuis virentibus …«
    Sie klammerte sich an die breite Planke, auf die

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