Die Totenfrau des Herzogs
herunter und ließ Ima frösteln.
»So, so, Ihr also. Hat Gott auch Euch gerettet. Halleluja, seid Ihm dankbar, Heilerin.« Sie hob den gefüllten Becher erneut zum Mund und trank, anstatt sich zu bekreuzigen, wie es vielleicht angebracht gewesen wäre. Dass sie es nicht tat, war an Unhöflichkeit kaum zu überbieten.
»Gott war barmherzig, ma dame «, stotterte Ima, die mit neuerlicher Ablehnung in der jetzigen Situation nicht gerechnet hatte. Sie hätten alle tot sein können - nicht einmal hier konnte sie von ihrer Rachsucht lassen? Doch Sicaildis hatte nichts vergessen, das verriet der Blick, mit welchem sie Bohemunds Mantel musterte.
»Nicht barmherzig genug, Heilerin. Der Herzog wurde noch nicht gefunden.« Damit schob sie sich ein Stück dampfendes Kochfleisch in den Mund und sprach trotzdem weiter. »Ich verlasse diesen Ort nicht eher, bis dass der Herzog gefunden wurde. Er muss sein Grab bekommen. Ich dulde nicht, dass das Meer ihn sich nimmt.« Ima nickte nur stumm und dachte in aller Dreistigkeit, dass das Meer Sicaildis von Salerno da sicher nicht um Erlaubnis fragen würde. Und sie fragte sich, was sie dem Meer wohl geboten hatte, damit es sie nicht verschlang. Vermutlich hatte sie einfach verlangt, am Ufer abgesetzt zu werden. Die Vorstellung war grotesk, fast hätte Ima angefangen zu lachen.
»Wir haben uns darauf eingerichtet, länger hier zu verweilen.« Diese Stimme gehörte Roger Borsa, der jetzt aus dem Schatten des Zeltes zu ihnen trat. Auch er war bereits in neue Gewänder gekleidet, und sein Kettenhemd glänzte siegreich in der Sonne.
»Gibt es weitere Überlebende?«, wagte sie zu fragen. »Der Chevalier de Neuville …«
»Wurde tot geborgen, meine Liebe.« Sicaildis zeigte einen Funken Mitleid, als Ima Tränen übers Gesicht liefen. »Er wurde bereits in sein Tuch genäht. Gott sei seiner Seele gnädig.«
»Gott sei seiner Seele gnädig«, wiederholten die Anwesenden, die meisten schlugen ein Kreuzzeichen, immerhin war de Neuville einer der engsten Freunde des Herzogs gewesen, den man auch hier in Otranto kannte. Roger leerte den Becher und starrte in den Sand. Die neue Rolle des zukünftigen Herzogs schien ihm trotz der vornehmen Kleider noch nicht so recht zu passen, vielleicht steckte ihm auch der Sturm noch zu sehr in den Knochen. Eigentlich war er als guter Krieger bekannt. Doch diese Schlacht war von ganz anderer Qualität gewesen und hatte Männer mit weitaus größerer Tapferkeit und Kriegserfahrung in die Knie gezwungen und zum Weinen gebracht.
Der Kommandant kratzte sich den verschwitzten Hals. Einen Schemel anzubieten wagte er angesichts der offen ausgetragenen Feindseligkeit nun nicht mehr, doch er reichte ihr seinen Napf mit Fleisch und nötigte sie stumm, daraus zu essen. Ima konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal so etwas gegessen hatte. Und da sie bei Sicaildis sowieso in Ungnade gefallen war, nahm sie das Angebot an und aß den ganzen Napf leer, ohne auch nur eine Pause zu machen.
»Draußen gibt es noch mehr«, bemerkte die Herzogin spöttisch. »Falls der Kommandant es nicht vermag, Euren Hunger zu stillen. Ihr dürft Euch entfernen, Ima von Lindisfarne. Ich bin müde und möchte ruhen.«
Sie hatte aufgehört zu zählen, wie viele Tote sie umgedreht hatte, um ihnen ins Gesicht zu schauen. Die grauen, zum
Teil aufgedunsenen Gesichter verfolgten sie, auch wenn die Toten wieder im Sand lagen. Sie hatte aufgehört zu zählen, wie viele der entstellten Toten sie erkannte. Soldaten, Knechte, der eine Priester. Der Knappe vom Feuer. Der Pferdeknecht. Auch der Hengst des Herzogs wurde an Land geschwemmt. Mit geblähtem Leib lag er halb im Wasser und verbreitete mehr Gestank als die menschlichen Leichen, weil an einer Stelle sein Gedärm heraushing. Möwen saßen auf seiner weißen Hinterhand und hackten Brocken aus dem Fleisch. Kreischend flogen sie auf, als Ima daran vorbeihastete, doch der Fund gehörte ja ihnen, und so kreisten sie nur über ihr und ließen sich wieder auf der Beute nieder, kaum dass sie den Kadaver hinter sich gelassen hatte.
Ihr Gesicht fühlte sich an wie eine Maske. Vielleicht lag es an der dicken Salzkruste, die der Haut nicht mehr gestattete, sich zu bewegen. Vielleicht hatte sich auch nur die Furcht wie eine zweite Haut darübergelegt. Ein Lachen schien so fern wie die Heimat. Hinter ihr rief ein Apulier, dass sie doch anhalten möge, man würde ihr suchen helfen, wenn sie nur wartete, aber es war ja genau das, was sie
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