Die Totenfrau des Herzogs
Sterben liegt?«, fragte sie verwundert. Gérard sah in die Nacht hinaus. »Weil er vielleicht nicht gerufen wurde …?«
»Meinst du?«, flüsterte sie ungläubig. Gérard schwieg vielsagend. Sie drückte seine Hand zum Zeichen, dass sie verstanden hatte.
»Ich geh mal nach ihr schauen«, sagte sie leise und erhob sich.
»Ima …« Da er ihre Hand nicht losgelassen hatte, beugte sie sich einfach nur zu ihm herab. Und fühlte, wie er ihr einen Kuss in die Handfläche drückte. Ihr Herz machte einen Satz. Er war der Sohn einer normannischen Küchenmagd, aber er wusste, wie man Frauen gewinnt - und sie hatte er doch längst gewonnen, warum fiel es ihr nur so unglaublich schwer, dazu zu stehen?
Die Männer hohen Geblüts besaßen weitaus weniger Anstand als der Sohn der Küchenmagd, sie rempelten und rüpelten im Zelt, als Ima an ihnen vorbeiwollte, und einer fasste ihr im Gedränge sogar an den Hintern. Gemeinschaftliche Trauer trieb bisweilen seltsame Blüten. Im Licht der flackernden Kerzen sah Ima, dass manche Männer gar eingenickt waren, statt bei ihrem Herrn zu wachen. Andere hatten sich einen Krug mit Bier hereingenommen, wohl um die Zeit der Trockenheit zu überbrücken, und waren über dem Rausch eingeschlafen.
Die Mönche übernahmen daher die Gebete, schließlich waren sie die Hüter der Psalmen, obwohl niemand beurteilen konnte, ob ihre Worte stimmig und richtig waren oder ob sie nur aneinandergereihte Silben von sich gaben. Für die meisten spielte das auch keine Rolle. Das Gebet war da, der Weihrauch umhüllte die Gedanken, Gott war nah. Alles war gut.
Sicaildis hatte den Platz neben ihrem Herrn nicht verlassen.
Man hatte Kerzen an das Kopfende seines Sterbebetts gestellt, nur drei, weil Bienenwachs rar in einem Heerlager war und man die Kerzen abzählen musste. Ihr Haar schimmerte im Kerzenlicht, und gnädig schmeichelte der Schein ihrem hager gewordenen Gesicht. Er zauberte das junge Mädchen hervor, das sie einst gewesen war, und dem Sterbenden schien das gutzutun. Die Zeit des Redens und Verfügens war vorüber. Manchmal bewegten sich seine Lippen noch, dann strich sie mit zarten Fingern über seine Wange und hauchte ihm Worte ins Ohr, ohne sich um die Umstehenden zu kümmern. Als sie Ima entdeckte, winkte sie sie zu sich.
»Bleibt bei mir. Er würde es wünschen.«
Und die Mönche, die das Lager umringten, mussten Platz machen für die angelsächsische Heilerin, die sich stumm zu Sicaildis’ Füßen kauerte. Bruder Angelo beugte sich über den Sterbenden. Die Atemzüge waren flacher geworden, das Fieber war gewichen. Die Haut trocknete langsam und wurde gleichzeitig auf eine merkwürdige Weise faltig, ganz so, als kniff ihn ein Geist in die Wange, um zu schauen, wie viel Leben noch in ihm war.
Die Hand des Mönchs ertastete nur noch wenig Leben an der Halsschlagader.
»Ecce enim in iniquitate generatus sum, et in peccato concepit me mater mea« , hub er einen neuen Psalm zu singen an. »Ecce enim veritatem in corde dilexisti et in occulto sapientiam manifestasti mihi.«
Der Chor der Wartenden fiel ein in den Gesang; es galt, den Weg zu bereiten. Sicaildis faltete die Hände zum Gebet. Das erste Mal seit Stunden ließ sie ihren Mann los, wenn auch widerstrebend. Wohlwollend nahm Angelo das zur Kenntnis. Den meisten Mönchen in der Residenz war die leidenschaftliche Beziehung des Herzogs zu seiner Dame ein Dorn im Auge; man hatte ihn oft genug aufgefordert,
mehr Reue für seine zügellose Liebe zu zeigen. Doch er hatte ja nicht einmal davon beichten wollen. Nicht davon und nicht von der Putzsucht. Nun regierten endlich Vernunft und Demut, zum Wohlgefallen des Herrn.
Bruder Angelo befand, dass es Zeit war für die letzte Wegzehrung, denn die herzogliche Brust hob sich nur noch unregelmäßig. Und so schritt er zu dem kleinen provisorischen Altar, der neben dem Lager errichtet worden war und wo das Gefäß mit der Heiligen Kommunion wartete.
»In Deo, cuius laudabo sermonem, in Domino, cuius laudabo sermonem«, sang er. Der Chor antwortete folgsam: »In Deo speravi; non timebo: quid faciet mihi homo?«
Bruder Jérôme öffnete mit zwei spitzen Fingern den erschlafften Mund des Herzogs, und die Hostie wurde unter Gebeten auf die trockene Zunge gelegt, um der dahinziehenden Seele als Nahrung und Trost zu dienen. »In Deo speravi; non timebo« , kam es auch leise von der Herzogin. Ihre Hände stahlen sich aus der Gebetshaltung fort und umfassten Roberts Kopf und Wange.
Durch die
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