Die Totenfrau des Herzogs
Schlacht beigestanden hat. Meine Herren …« Ihr Blick machte langsam die Runde, niemand wagte, sie zu unterbrechen. »Meine Herren - der Herr schaut mit Wohlwollen auf das Herzogtum Apulien, auf den Reichtum der Städte und den Frieden, den Robert Guiscard gebracht hat.«
Sie machte eine Kunstpause, dann donnerte sie los: »Ihr wagt es, das in Frage zu stellen?«
Ima schob sich hinter einen Bewaffneten, um die Zuhörer besser beobachten zu können. Ihr lief es kalt den Rücken hinab - hier hielt doch tatsächlich eine Frau eine ganze Kriegsmannschaft in Schach, die drauf und dran war, den vorbestimmten Erben zu stürzen! Und womit? Mit Geschichten vom Frieden! In Rom hatte Ima allerdings etwas anderes gesehen …
»Hört mich weiter an!«, rief die Langobardin und hob erneut die Hände, als sich zwei Männer bewegen wollten. Sie sanken, gebannt durch ihre Autorität, auf ihre Schemel zurück. »Mein Herr Robert Guiscard war weise, vorausschauend und gerecht. Der Allmächtige hat ihm stets kluge Entscheidungen geschenkt und seine Hände gelenkt, dass Gutes daraus werde, für das Land und für seine Untertanen …«
Ima drehte den Kopf und sah zurück auf das Zelt, wo der Mann, den seine Feinde terror mundi nannten, im ewigen Schlaf lag. Doch niemand begehrte auf gegen ihre Worte, niemand verlachte sie als Lügnerin. Selbst im Tode achteten sie ihn wie einen König.
»Der Allmächtige hat seine segnenden Hände über ihn und seine Taten gehalten«, fuhr Sicaildis fort, »bis zur Stunde seines Todes. Er hält sie in diesen Stunden der Trauer über unser Land und über Euch, Ihr Herren, damit Ihr Euch Eurer Vergänglichkeit bewusst werdet und am
Lager des Herzogs um Vergebung Eurer Sünden betet. Der Allmächtige hat auch die Entscheidung gesegnet, Roger zum neuen Herzog zu machen - es ist nicht an uns, dies zu kritisieren, meine Herren! Damit würden wir Gottes Segen kritisieren, wir würden seine Gnade missachten - wir würden uns gegen Gott versündigen.«
Ihre Stimme verklang. Dunkel war sie geworden, rau und machtvoll, und eine heiße Windbö bauschte ihr Haar auf, dass es sich wie eine Krone um ihr schmales Gesicht wand. Die Herren waren wie erstarrt. Selbst das Feuer hatte aufgehört zu knistern.
»Der Herzog von Apulien starb mit Roger Borsas Namen auf den Lippen und mit dem innigen Wunsch, sein geliebter Sohn Roger möge sein großes Reich zu Macht und Reichtum führen …«
Sie hingen an ihren Lippen. Niemand bemerkte die dreiste Lüge. Niemand wagte sich daran zu erinnern, dass Bohemund Roberts Lieblingssohn gewesen war, den er zugunsten von Sicaildis’ Sohn hintangestellt hatte … niemand wagte, ihr zu widersprechen.
Marc de Neuville schließlich stand auf - der älteste Vertraute des Herzogs war ein besonnener Mann und ein ruhiger Redner. » Ma dame . Vergebt, dass Eure Trauer so missbraucht wurde und dass Ihr keine Zeit findet, Euch zum Gebet zurückzuziehen. Doch seid so freundlich - wenn Ihr Euch schon einmischt -, auch unsere Bedenken anzuhören.« Das waren mutige Worte, die nur ein de Neuville wagen durfte. Er breitete die Arme aus und drehte sich halb zu den Bäumen, wo unzählige Zelte Schutz vor der Sonne suchten. »An die fünfhundert Mann sitzen hier auf diesem einsamen Flecken Erde - seit ungezählten Wochen. Bald ist die Insel leer gejagt, an manchen Tagen werden die Männer nicht satt, und wir müssen Nahrung vom Festland herüberholen. Drüben am Festland in Bundicia sitzen an die tausend
Mann und schauen seit Monaten die Berge an. Auch sie hungern, da das Umland von Bundicia leer gejagt ist. Manche von ihnen weilen schon seit fast zwei Jahren dort, weil das Kriegsglück sie verlassen hat.«
»Wollt Ihr mir sagen, dass die Vorhaben meines Mannes ziellos waren?«, fuhr Sicaildis de Neuville an. »Wollt Ihr mir sagen, dass er seine Leute leiden ließ? Dass er sie hungern ließ, ohne sich Gedanken zu machen? Dass er ein schlechter Führer war? Wollt Ihr das, Chevalier?«
»Nein, ma dame ! …« Beschwichtigend hob er die Hände. » Ma dame , ich bitte Euch …«
Unruhe entstand, Männer standen auf, wanderten erregt umher, einige zogen ihre Waffen und hieben damit auf die Büsche ein, um sich abzureagieren. De Neuville brachte sie zum Schweigen, doch nicht alle setzten sich wieder; zwei von ihnen verließen gar die Versammlung ganz, Ima sah sie hinter den Bäumen verschwinden.
»Nein, ma dame . Der Herzog war uns immer ein guter Anführer, und wir sind sicher, dass er uns nach
Weitere Kostenlose Bücher