Die Totenfrau des Herzogs
stehen musste. Ihre Gesichter spiegelten Erinnerungen wider an gemeinsam geschlagene Schlachten: Dyrrhachion, Valona, Bari, der unvergessliche Überfall auf Rom, die versinkenden Schiffe auf dem Glykys …
»Wir greifen von Bundicia aus an! Dann werden sie sehen, was für ein Kriegsherr ich bin!«, rief Roger aus. »Was Bohemund begonnen hat, werde ich vollenden - die Via Egnatia soll mir gehören! Ich werde meine Apulier zum Sieg und nach Byzanz führen!«
»Junger Roger, hört mich an«, mischte sich ein alter Mann ein, der seiner Kleidung nach zu urteilen den Rang eines Hauptmanns innehatte und nicht von hoher Geburt war. Dass er der Runde dennoch angehörte, sprach für seine Weisheit und Treue. »Hört mich an. Die großen Pläne unseres Herzogs liegen zerschmettert in den Bergen hinter Bundicia. Die Schlachten dort wurden verloren, und die Krieger halten nur die Stellung, weil sie dem Herzog treu ergeben sind.«
»Eine unglaubliche Lüge«, flüsterte da jemand hinter ihr. Ima drehte sich um. Im Schatten des Zeltes stand Gérard und machte ein bitterböses Gesicht. »Glaub ihnen das nicht, Ima. Glaub ihnen kein Wort. Ich war in den Trümmern von Bundicia - niemand ist dort dem Herzog treu ergeben, sie harren nur aus, weil sie nicht wissen, was sie sonst tun sollen, und weil sie sonst vor Hunger verrecken - das ist die Wahrheit!«
»Bist du verrückt, was redest du da?«, zischte sie entsetzt - mitten im Heerlager solch umstürzlerische Worte! Wieder kam es ihr so vor, als lauschte das Ohr des Guiscard, obwohl er doch schon seit Stunden tot war. Sein Geist indes war wirklich hier und allgegenwärtig, das spürte sie deutlich … und verfluchte die Mutter, die sie gelehrt hatte, Geistern Zutritt zu gewähren.
Gérard zog sie am Arm näher, er war noch nicht fertig mit seiner Empörung. »Der Guiscard hat Männer zum Waffendienst gepresst - hunderte! Verstehst du? Er hat sie an die Waffen gezwungen und wie Söldner losgeschickt …«
»Was redest du da - du bist doch auch nichts anderes als ein Söldner«, unterbrach sie ihn spöttisch. Es wurde schlagartig still zwischen ihnen. Sie bereute den Ausspruch, kaum dass er heraus war, doch es war zu spät. Sein Gesicht verfinsterte sich, und er trat einen Schritt zurück.
»Ja. Das bin ich, Ima. Ein Söldner. Aber ich hab mir das selbst ausgesucht. Und ich kann jederzeit gehen, wohin ich will. Ich muss mich nicht mal umschauen.« Keinen Atemzug später war er verschwunden. Seine Empörung und Verletzung ließ er bei ihr zurück. Sie verfluchte sich für ihre lose Zunge und dass sie ihn immer wieder daran erinnern musste, woher er stammte. Warum nur? Weil es ihr selbst so wichtig war? Sie liebte diesen Mann und konnte trotzdem nicht vergessen, dass er der Sohn einer Küchenmagd war, dass er in der Asche geboren war, dass man ihm diese Asche anmerkte und dass er für Geld kämpfte. Keuchend lehnte sie sich gegen die kühle Zeltplane. Sohn einer Küchenmagd. Immer wieder kam diese Verachtung in ihr hoch, und sie hasste sich dafür. Ein Steinchen flog gegen die Zeltwand, von ihrem Fuß getreten, ohne das Problem damit zu lösen.
»Ima! Ima, wo seid Ihr?« Die Stimme der Herzogin duldete kein Versteckspiel. Seufzend begab Ima sich wieder in die sengende Sonne zurück. Die Gesichter der Anwesenden hatten sich gerötet. Dicke Nasen schillerten, aufgequollene Wangen und Tränensäcke glänzten in der Hitze. Robert di Loritello fächelte sich Luft zu. Jedoch nicht wegen der Hitze, wie Ima erfahren sollte.
»Wir reisen nach Bundicia, heute noch. Wie schnell könnt Ihr den Leichnam des Herzogs versorgen?« Sicaildis
nippte an ihrem Becher. Als jemand widersprechen wollte, genügte eine Handbewegung, um ihn zum Schweigen zu bringen. Irgendwo schabte ein Schwert aus der Scheide, jemand brummte unmutig.
»Wie meint Ihr das?«, fragte Ima unsicher, Böses ahnend. »Versorgen?«
»Versorgt ihn so, dass er bleibt, wie er ist. Versteht Ihr denn nicht?« Sie wurde ungeduldig, setzte den Becher ab, stand auf und ging umher. »Er soll bleiben, wie er ist. Tut - macht, was man Euch gelehrt hat. Er soll so bleiben, wie er ist.« Sie drehte sich zu Ima um. Ihre Augen flackerten, Ima erkannte Angst in ihnen. Nackte Angst vor dem körperlichen Zerfall ihres Mannes, den sie heimbringen musste.
»Aber könnte nicht jemand anderes den Leichnam begleiten? Wenn Ihr …«
» Ich werde meinen Herzog nach Hause bringen! Ich und niemand sonst!«, schrie sie auf und machte einen wilden
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