Die Totenfrau des Herzogs
Schritt auf Ima zu. Die hob beschwichtigend die Arme.
»Euer Wille gilt. Ich werde ihn Euch einbalsamieren, so gut ich das kann, ma dame . Dennoch solltet Ihr …«
»Rüstet die Schiffe«, unterbrach die Herzogin sie barsch und fuhr herum, um mit einer Hand zehn Männer herumzuschicken, denn es gab jetzt viel zu tun, wenn man zügig auslaufen und standesgemäß reisen wollte. Ima betrachtete den Rücken der alten Dame, der sich kerzengerade hielt und genug Energie für ein ganzes Heer zu haben schien.
Befehle zu erteilen war in der Tat einfacher, als zurückzukehren in das Zelt und in die Vergangenheit, als Trauer zuzulassen und des Toten zu gedenken.
Sicaildis kehrte schließlich überhaupt nicht mehr in Robert Guiscards Zelt zurück. Man schickte Ima durch einen venezianischen Sklaven Wachs und Öl, damit sie sich auf dem Kohlefeuer eine Salbe zusammenrühren konnte. Er brachte
auch frisch gepflückte Kräuter und flüsterte, dass man daheim in Venedig so verfahre. Nachdenklich stand sie nun vor dem Inhalt ihres Beutels.
»Hast du das schon mal gemacht?«, fragte Thierry beunruhigt.
Sie schüttelte den Kopf. »Trota hat es mir erklärt. In Salerno begräbt man die Toten. Im Svearreich und in England auch.«
»In Burgund auch.« Thierry kratzte sich hinterm Ohr. »Dieser hier wird vielleicht noch eine ganze Weile auf sein Grab warten müssen«, sinnierte der Mönch.
Ima nickte versonnen. »Wenn sie wirklich aufs Festland will …«
»Eine lange Tagesreise mit dem Schiff, dann weiter mit dem Pferd, und wer weiß, was sie in Bundicia erwartet …« Sie sahen sich an.
»Mach dich gefasst darauf, dass du sie begleiten wirst, Ima.« Der Mönch hob die Brauen. »Sie wird nicht auf dich verzichten. Du begleitest sie . Nicht den Herzog.« Ima rührte in der Schale herum. Das Wachs begann sich in der Wärme der Glut aufzulösen und wurde unter Hinzugabe von Olivenöl geschmeidig. Die Kreise, die das Holzstäbchen in der entstehenden Paste zog, hatten etwas von Ewigkeit. Ima wurde darüber ruhig. Kein Kreis brach ab, der Strich führte weich und sanft ins Endlose, kreiste, kreiste …
»Bundicia«, flüsterte sie. »Und irgendwann Konstantinopel.«
»Was?« Thierry machte große Augen.
»Fragst du dich nicht manchmal, wohin Gott deine Füße lenkt?«
»Mein Ziel hieß einst Jerusalem.« Der Mönch kratzte sich am Hals, wo Schweißtropfen juckten. Hier am Feuer war es unerträglich heiß, was Ima nicht zu stören schien. »Weißt du noch? Jerusalem …«
»Ja …« Ima erinnerte sich. An das kleine Lagerfeuer in den Bergen hinter Arles, wo vor fast zwei Jahren der Mönch aus dem Gebüsch gekrabbelt war und wo sie beschlossen hatten, zusammen zu reisen, obwohl jeder ein anderes Ziel gehabt hatte. Bruder Thierry hatte ans Grab des Herrn gewollt, sie, Ima, wollte ihren Schwager zurückholen, der davongelaufen war, um Knappe zu werden. Das Leben hatte anderes mit ihnen vorgehabt. Mit dem Tod des Schwagers war sie heimatlos geworden, und der Wind schien seither ihre Schritte zu lenken. Der Wind - oder eben Gott.
Energisch kramte sie in ihrem Beutel und zog den Kasten mit den Glasphiolen hervor. In den kunstvollen Gebilden eines arabischen Händlers befanden sich Thymianöl und Myrrhenöl. Sie tropfte reichlich davon in die Salbe und fügte nach einigem Überlegen noch gemahlenen Zimt hinzu. »Das wird nicht reichen«, brummte sie und entleerte kurzerhand die Phiole mit Myrrhenöl. Thierry erhitzte währenddessen in einem anderen Gefäß pures Bienenwachs.
»Im Kloster wickelten sie die Toten manchmal in Wachstücher ein«, meinte er. »Das könnten wir versuchen.« Ima nickte. Es roch bereits unangenehm im Zelt - kein Wunder, dass niemand freiwillig herkam. Dennoch würde einer der Mönche zum Gebet hierbleiben müssen. Sie fragte sich, wer sich dazu bereit erklärte.
Thierry half ihr, den toten Herzog auszukleiden. Sein Körper war zusammengefallen. Die Haut fühlte sich unangenehm weich an, und Ima schauderte innerlich. Doch die Versorgung der Toten gehörte genauso zum Leben, das hatte Trota ihr beigebracht. Mit einem gebauschten Tuch trug sie die Salbe auf den Körper auf. Die aufsteigenden Öldämpfe berauschten ihre Sinne, es war vielleicht zu viel Myrrhe gewesen. Dennoch, ihr Kopf wurde leicht und ruhig, sie konnte besser atmen, und ihre Hände gewannen genug
Sicherheit, um die schwere Arbeit zu vollbringen. Am Schluss gelang es ihr sogar, mit den Händen die Paste dorthin zu reiben, wo sie mit dem
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