Die Totenfrau des Herzogs
sie ihr Gebet unterbrochen hatte.
Ima war eine gute Reiterin, sie hatte es einst auf dem Kriegspferd ihres Vaters gelernt und saß souverän im Sattel. Und Gott hörte ihr langes Gebet offenbar mit Wohlgefallen, denn Er räumte sämtliche Steine aus dem Weg und leitete das Pferd sicher am Wasser entlang. Manchmal spritzte es hoch und netzte ihr Gesicht. Obwohl es immer noch sehr warm war und ihr das Wasser im verschwitzten Gesicht eigentlich hätte erfrischend sein können, erschrak sie jedes Mal, weil es sie aus ihren Gedanken holte. Er war ein Zauderer, verdammt noch mal.
Die Sonne schickte sich an, im Westen im Meer zu versinken. Sie winkte ein letztes Mal, dann hinterließ sie jenes
Dämmerlicht, vor dem die Mutter sich immer so gefürchtet hatte, weil es Dämonen und Geister hervorlockte, gegen die ihre Kraft mit den Jahren immer schwächer geworden war. Ima setzte sich im Sattel zurecht. Sie hatte nie Angst vor den Dämonen gehabt. Vor den merkwürdigen Kräften der Mutter schon eher - aber vor den Dämonen? Sollten sie doch kommen, die Dämonen - sie kannte keine Angst, ganz sicher nicht. Und hoffentlich würde sie den Weg nach Limnaia schnell hinter sich bringen. Viel weiter als bis zur nächsten Biegung und was dahinter Angsteinflößendes liegen mochte, wollte sie nicht denken …
Als der Weg am Wasser zu Ende war, entschied sie sich, nach Südosten zu reiten, wenn auch der Soldat nichts davon gesagt hatte. Eine platt getrampelte Ebene zeugte davon, dass hier Kriegstrosse entlanggezogen waren - die besiegten Divisionen aus Trikkala und Kastoria, die sich ans Ambrakische Meer zurückgezogen hatten und dort seit Monaten auf Befehle harrten. Limnaia musste also an dieser Straße liegen. Hoffte sie und drängte die Dämonen des Zweifels energisch zurück.
Das Pferd schnaubte leise. Es roch nach Feuer. Hatte sie Bohemund gefunden? Ima glitt aus dem Sattel und band das Pferd mit dem lose hängenden Strick an einem Baum fest. Hier bewährte sich, dass der Soldat ein schwarzes Pferd für sie gewählt hatte - trotz Vollmond sah man kaum die Umrisse des Tieres. Als wohlausgebildetes Kriegsross blieb es ruhig stehen und knickte mit dem Hinterbein ein, um zu dösen. Ima schlich um den Baum herum.
Es roch nach Tod. Jener Geruch, der sich der Sinne bemächtigte, obwohl er kaum vorhanden war. Der das Ende von Leben transportierte und ein dazugehöriges Schweigen, das jede nächtliche Stille übertraf. Der lähmte, weil der Tod seinen Mantel noch nicht wieder eingesammelt hatte …
Ima zog sich die Kapuze über den Kopf. Ihr Herz schlug wild, wie eine Warnung. Vorsichtig spähte sie durch das Gesträuch. Ein kleines Feuer flackerte durch die Bäume - jemand machte Rast und nutzte die Flammen, um die Mückenschwärme zu vertreiben, die hier in den Lagunen ausgesprochen lästig waren und sich in Kragen, Mund und Nase verirrten. Ein Pferd stand neben dem Feuer, mit hängendem Kopf, doch gezäumt und bereit zum sofortigen Aufbruch. Ihr Blick glitt um das Pferd herum und weiter über die dunkle Lichtung. Überall blinkte es im Feuerschein, als hätte jemand Gold verstreut, das mit den Flammen neckisch spielte. Doch war es ein einseitiges Spiel, denn die Flammen umschmeichelten in Wirklichkeit Tote … Ima riss die Augen auf. Die ganze Lichtung schien übersät von toten Kriegern, deren Rüstungen vom Licht des Feuers in den Schlaf gestreichelt wurden.
Nur der am Feuer lebte. Geduckt saß er inmitten all der Toten auf einem Stein, wie ein Krieger nach der großen Schlacht, das Schwert über die Knie gelegt, und starrte ins Feuer. Die Waffe blinkte im Schein der Flammen, das Blut hatte er nicht von der Klinge abgewischt. Vielleicht tat er so etwas nie, vielleicht wartete die Klinge auch auf weitere Zerstreuung. Reichten ihr die Hingemetzelten nicht? Hatte sie nicht genug getanzt, bezaubert, nicht genug bleiche Münder geküsst? Sie wartete vielleicht auf Nachzügler - oder auf Störenfriede wie Ima.
Ihre Aufregung wuchs. Sie spürte, dass sie sich in Lebensgefahr befand - die hungrige Klinge schaute sich um. Noch hatte sie sie nicht bemerkt, noch war es möglich, sich unerkannt zurückzuziehen, weiterzureiten und Limnaia vielleicht morgen zu erreichen. Sie überlegte, ob sie ihrem Pferd wohl einen Nachtritt zutrauen konnte, starrte in die Dunkelheit, wo das Pferd wartete, ohne sich zu regen. Sie wusste ja nicht, welchen Weg Marius de Neuville genommen
hatte und ob sie ihn einholen würde. Die Verrücktheit ihrer
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