Die Totenfrau des Herzogs
Schlag hätte Knochen zertrümmern und Venen aufschlitzen können.
Eine kleine Unachtsamkeit war es, die Marius de Neuville das Leben kostete: Er stolperte nämlich über einen der Toten und sah kurz zu Boden, als der tödliche Hieb von oben auf seinen Kopf niederging. Schädelknochen barsten, selbst der Schrei blieb ihm im Hals stecken, während er vor dem Sieger auf die Knie sackte. Von der Klinge, die sich dann durch seinen Hals fraß, konnte er schon nichts mehr gespürt haben.
SIEBTES KAPITEL
Meine Augen sehen stets auf den Herrn, denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen.
(Psalm 25, 15)
M arius de Neuville starb, ohne erfahren zu haben, wer seinen hinterhältigen Plan verraten hatte. Er starb auch schnell genug, um die Schmach seiner Niederlage nicht empfinden zu müssen, und dass er erkannt worden war, spielte auch keine Rolle mehr. Die unehrenhafte Tat tropfte in den Staub und versickerte, ohne dass die Nachwelt Kenntnis von seinem Tun erhalten würde. Und sein Vater würde hoffentlich nie erfahren, wo und wie der Sohn umgekommen war.
Der furchtbare Hieb hatte Marius’ ungeschützten Schädel einfach zertrümmert, das Schwert war dann im Hals stecken geblieben. Langsam zog der Schwertträger es aus dem Spalt. Blut schoss hinterher, tränkte den Boden, blieb schließlich in einer schwarzen Lache stehen. Blut sickerte über das hellblonde Haar und gerann auf der vornehmen Kleidung zu dicken Klumpen. Der Krieger stand still und starrte auf seinen toten Gegner, das blutbesudelte Schwert wie eine Stütze neben sich in den Boden gebohrt. Nur die Blätter rauschten leise im Wind, in der Ferne rief ein Kauz. Der Tag hing ihnen müde auf den Schultern, so ganz hatte er sich noch nicht verabschiedet. Durstig lechzte die Nacht nach Tau, doch lagen noch viele Stunden vor ihr, bevor sie sich an der Kühle würde laben können. Ein praller Vollmond
schien nachdenklich auf die Lichtung. Er goss Frieden auf das Gesicht des Toten, und auch ein wenig auf Bohemunds Gemüt. Der bewegte sich nach schier unendlicher Zeit. Er kniete halb neben dem Toten nieder, und mit der Hand, die vor kurzem noch berserkergleich Leben genommen hatte, schloss er die Augen seines Angreifers, dann faltete er die Hände und sprach den Psalm, der alle Toten zu Gott brachte.
»De profundis clamavi ad te, Domine! Domine, exaudi vocem meam! Fiant aures tuae intendentes in vocem deprecationis meae. Si inquitates observaveris, Domine, Domine, quis sustinebit?«
Das Blätterrauschen beruhigte sich, als wartete die Natur auf Gottes Hand, den Geist des Toten mitzunehmen. Doch sie kam nicht. Die Seele eines Mörders würde unfrei herumirren, und Krähen würden seinen Leichnam zerhacken. Gott liebte die Mörder nicht. Trauer wehte wie ein unsichtbarer Schleier über die Lichtung; in ihrem Gefolge fing ein Vogel an zu schluchzen. Es war der Vogel, der stets weinte, wenn der Tod Ernte hielt - die Nachtigall begann ihr Lied als Sterbegesang auf einen Mann, der unehrenhaft gestorben war und dem sonst niemand Tränen schenkte.
Dem, der ihn getötet hatte, schien Ähnliches im Kopf herumzugehen, denn er legte die Hand auf Marius’ Stirn und sagte leise: »Ich vergebe dir, Mann.« Die Nachtigall ließ ihre schmelzende Melodie herabtropfen und kühlte damit ein wenig den Schmerz über Abschied und Vergänglichkeit.
Man sagte dem Herzogssohn ein aufbrausendes Temperament und bisweilen große Ungeschicklichkeit nach, doch zeigte er sich immer wieder als ein großer Ritter und wahrer Christ. Und er war es tatsächlich - Bohemund von Tarent. Vielleicht wagte Ima deswegen, sich zu bewegen, obwohl sie wusste, dass die Gefahr für sie noch lange nicht vorüber war. Doch sie konnte nicht anders. Alles in ihr
schmerzte nach dem Tritt in die Seite, und sie bekam kaum Luft. Und so drehte sie sich auf die Seite, um besser atmen zu können. Zu spät bemerkte sie, dass einer der vielen Toten dicht neben ihr lag. Entsetzte Augen stierten einen Himmel an, der nicht mehr helfen konnte, weil in der Brust ein tiefes Loch klaffte. Würgend wälzte sie sich wieder herum. Der Apulier stand direkt über ihr, das Schwert in der Hand, bereit zum nächsten Schlag .
»Was fürchtet ihr noch?«, fragte Ima resigniert. »Die Gefahr ist vorüber.«
»Du bist ein Zauberweib.«
Sie ließ ermattet den Kopf auf den Boden sinken. »Ich bin kein Zauberweib. Ich bin Angelsächsin und am Hof des Eroberers aufgewachsen.«
Er lachte grob. »Zauberweib! Du überzeugst mich nicht.
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