Die Totenfrau des Herzogs
hinweg. Ima war im Sattel zusammengesackt. Allein der Glaube ans Überleben hielt sie dort oben - und das Pferd, welches danach trachtete, sie im Sprung nicht zu verlieren.
Schlick kühlte ihre verbrannte Wange. Wasser netzte ihre Lippen. Neben ihr schnaubte es leise.
Ima hob den Kopf. Ein kräftiger Sommerwind trug den Rauch von ihr fort. Er wehte ihn in Richtung Meer und hielt die Flammen davon ab, ins Inland überzugreifen. Der Buschbrand hatte sich dennoch ausgedehnt und dröhnte inzwischen wie ein Chor alter betrunkener Männer - nur bösartiger. Hustend stützte sie die Arme auf; sie lag im Uferschlick eines kleinen Flusses, das Pferd stand neben ihr und soff durstig von der erdigen Brühe.
»Heilige Mutter Gottes«, murmelte sie hustend und rappelte sich hoch. »Heilige Muttergottes, hast Du auf mich aufgepasst …« Und statt aufzustehen, blieb sie knien, wo sie gelegen hatte, im kühlen Uferschlick, und faltete die Hände, was sie viel zu selten tat. »Dominus pascit me, et nihil mihi deerit: in pascuis virentibus me collocavit, super
aquas quietis eduxit me, animam meam refecit. Deduxit me super semitas iustitiae propter nomen suum. Nam et si ambulavero in valle umbrae mortis, non timebo mala, quoniam tu mecum es.«
Mit dem Gebet fiel erst einmal alle Angst von ihr ab und das Gefühl, gehetzt zu werden. Es hatte dem Herrn gefallen, sie vor dem Feuer zu retten, es gefiel Ihm nun, das Feuer von ihr wegzuscheuchen. Doch was nun? Die Gebetsworte versickerten im Schlick, die Stille hatte sie wieder. Matt ließ sie sich auf die Unterschenkel sinken. Was nun? Wohin? Zitternd griff sie nach den lose hängenden Zügeln und versuchte sich aufzurichten. Der Wald sah aus wie vorhin, nur war er grün und ohne Feuer. Das Flüsschen trennte sie offensichtlich vom Feuer, instinktiv war das Pferd noch hindurchgaloppiert, bevor es erschöpft angehalten hatte. Obwohl die Luft immer noch brütend heiß war, weil die benachbarte Feuerhitze und der Sommermorgen sich unheilvoll verbündeten, fror sie erbärmlich. Sie tastete sich an die Satteltaschen vor. Bohemunds Mantel fiel schützend über ihre Schultern und umhüllte sie, ohne sie zu bedrängen. Ein bisschen nahm er auch den Schrecken, der Ima gelähmt hatte. Sie fand die Kraft, an den Aufbruch zu denken.
»Irgendwohin wirst du uns wohl bringen«, flüsterte sie und versuchte, das Gleichgewicht zu behalten. Der Rappe blieb artig stehen, bis sie im Sattel saß. Einmal mehr dankte sie dem Zerlumpten aus Bundicia für dieses gutmütige Tier. Nun würde es sich ein weiteres Mal beweisen müssen … Ihre Knochen schmerzten. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie vom Pferd gefallen war und warum. Sicher war alles voller blauer Flecken. Sie versuchte, in Gedanken ein Rezept gegen blaue Flecken zusammenzustellen. So etwas half immer, sich zu sammeln und nach vorn zu blicken. Waren viele blaue Flecken zu sehen, musste man einen Blutegel suchen,
auf dass er die schlechten Säfte aus dem Fleisch sauge. Gegen den Knochenschmerz nahm man Blutwurz und Zaubernuss. Und Beinwell. Die Blätter zerstoßen, zu einem Breiumschlag rühren - sie atmete durch. Schon der Gedanke an die Heilkräfte des Umschlags nahm ihr einen Teil der Schmerzen. Erleichtert, dass sie sich entspannen konnte, setzte auch der Rappe sich in Gang und schnaubte ab.
Auf nach Hause.
Das Pferd, welches Gérard stahl, gehörte zur gemütlichen Sorte, es war nämlich ein Karrenpferd, und auch peitschende Schläge mit der Weidenrute konnten es nur schwer davon überzeugen, unter der brennenden Fackel seines Reiters schneller als im Schritt vorwärtszumarschieren. Dennoch ertrug Gérard es nicht, bis zum Morgen zu warten. Die Sorge um Ima trieb ihn an, und so ritt er in die Nacht hinein, obwohl er kaum drei Handbreit vom Weg erkennen konnte und nicht einmal genau wusste, in welcher Richtung Limnaia zu finden war und welchen Weg die närrische Angelsächsin gewählt hatte.
Jede Form der Fortbewegung war besser, als im Lager zu bleiben, untätig herumzusitzen und zu warten. Vielleicht war es dann schon zu spät für alles.
Ihre letzten Worte bohrten sich wie Nadeln in seine Erinnerung. Hilf mir, Gérard . Die Dringlichkeit in ihrer Stimme - noch niemals hatte sie ihn um Hilfe gebeten, er wusste doch um ihren Stolz! Wie hatte er mit seinem Zögern versagt! Die Wut über ihr unüberlegtes Tun war längst verraucht, übrig blieben nichts als Sorge und Angst, weil er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte,
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