Die Totenfrau des Herzogs
ihr seinen Platz
am Feuer abgetreten und von seinem Trockenfleisch gegeben. Sie hatten gemeinsam gebetet, und irgendwann war Ima wohl doch eingeschlafen. Die Dunkelheit hatte die Toten freundlich vor ihr versteckt - erst der Morgen zeigte sie in aller Deutlichkeit. Schnell faltete sie den Mantel zusammen, tagsüber war es zu warm für so ein Kleidungsstück und die Luft viel zu stickig … Sie vermied es, nach den grausig zugerichteten Toten zu sehen. Marius war nur einer von vielen, an ihm blieb ihr Blick dennoch immer wieder hängen. Ihr kam der Gedanke, wie unerhört es von Bohemund war, sie hier allein zurückzulassen. Gab es einen Grund dafür? Die Unruhe in ihr wuchs. Er hätte sie wecken können, hätte sie zum nächsten Dorf bringen müssen! Doch sosehr sie sich auch umschaute - Bohemund war verschwunden.
Wieder scharrte das Pferd. Das Seil war um einen Felsbrocken geschlungen, damit es nicht weglief - und es hatte tatsächlich allen Grund, immer unruhiger zu werden, denn der merkwürdige Rauchgeruch verstärkte sich, begann den Leichengeruch zu überdecken. Knistern wurde plötzlich laut. Ima rieb sich die Augen. Die Seite, wo sie sich den Tritt eingefangen hatte, schmerzte höllisch, die Nacht auf hartem Untergrund hatte der Verletzung nicht gutgetan. Doch Zeit, sich einen lindernden Umschlag zu machen, war ihr nicht gegeben - es brannte nämlich irgendwo in unmittelbarer Nähe.
Es brannte.
Hektisch sah sie sich um, schlagartig hellwach. Die Lichtung war weitaus kleiner, als sie in der Nacht ausgesehen hatte, der hohe Ginsterbewuchs machte sie düster, doch die Sonne hatte auch keine Möglichkeit, in die Lichtung zu gelangen, weil ihr Antlitz zunehmend von Rauchschwaden verdeckt wurde, die zwischen den Bäumen hervorquollen wie dicke Bauernfinger…
Mit bebenden Händen band sie das Pferd los und stopfte den Mantel in die Satteltasche. Das Pferd tanzte an ihrer Hand, versuchte zu steigen, alles in ihm drängte zur Flucht - doch wohin? Ihr Blick wanderte eilig an den Büschen entlang - das konnte doch nicht sein, dass das Feuer überall lauerte? Ein Wiehern zerriss beinah ihre Ohren. Der Schwarze gab zu verstehen, dass er nicht weiter auszuhalten gedachte, sein Zügel spannte sich am Zaum. Lange würde sie das Pferd nicht mehr halten können, und so entschied sie, in den Sattel zu springen - wenn es losrannte, dann sollte es sie wenigstens mitnehmen!
Ima wusste, dass der Instinkt vieler Kriegspferde untrüglich war - wenn einer den Weg hier heraus finden würde, dann dieses Pferd. Alarmiert trabte es an den Büschen entlang, bis in den letzten Muskel gespannt und fluchtbereit; verzweifelt versuchte Ima, ein Loch in die Freiheit zu erspähen, eine Lücke, eine Schneise, durch die man hindurchgelangen konnte, ohne bei lebendigem Leib zu verbrennen. Wo in aller Welt war sie gestern denn hergekommen?
Die Lichtung war verhext und hatte sich lückenlos geschlossen. Ima konnte den Boden kaum noch erkennen. Es wurde schwierig, Luft zu holen, die Augen brannten. Sie wurde müde, drohte zusammenzusacken, nur der Husten hielt sie aufrecht, immer wieder Husten - verdammter Husten. Das Pferd machte einen Satz, beinah verlor sie das Gleichgewicht, lallte, griff hustend und spuckend in die Mähne … Unter ihr erregtes Schnaufen. Ima hatte keine Kraft mehr, dem Pferd zu sagen, wo es hinlaufen sollte. Wieso wusste es das denn nicht selbst? Wieso tat es nichts? Sie sah nichts mehr, sie hatte fast aufgehört zu leben, und vielleicht war es gut, dass der Rauch ihr die Sicht nahm, sonst hätte ihr vielleicht der Mut gefehlt, sich dem Schwarzen für den Weg in die Flammen anzuvertrauen - denn der sprang nun doch einfach los, mitten in das lodernde Meer.
Er sprang mit einem Riesensatz in die Flammen, und sein Rücken wurde breit wie ein Bett für Ima, sein Hals wuchs für sie, und das Mähnenhaar wurde länger, damit sie sich festhalten konnte und nicht aus dem Sattel rutschte. Wie ein Zauberwesen glitt er durch die brennenden Büsche, die sich nach dem Blitzschlag aus einem kleinen Schwelbrand entzündet hatten und den Bäumen rachsüchtig von unten her nach dem Leben trachteten. Er flog über die Flammen hinweg und schrie vor Schmerz, als die nach ihm griffen und seine empfindliche Haut am Bauch anfraßen! Mutig und zu allem entschlossen, pflügte er sich durch das Feuer, denn seine Nüstern witterten Frischluft hinter den Flammen, und darauf rannte er zu, über Baumstämme, Sträucher und alle Bodenunebenheiten
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