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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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es die geben? Sie versenkte sich in die Erinnerung, was sie gesehen hatte … Gliedmaßen, die abfallen oder abfaulen würden. Wunden, die sich immer tiefer ins Fleisch fraßen und, wenn sie den Knochen erreicht hatten, dem Tod die Tür öffnen würden. Ein Tod, der auf leisen Fiebersohlen daherkam und den Kranken von innen und unter großen Schmerzen vernichtete. Ein Gefühl der Machtlosigkeit überkam sie. Wer war denn sie gegen solche Qualen?
    Sie versuchte sich zu erinnern, was Mutters Freundin getan hätte. Ihr wäre sicher noch mehr eingefallen. Langsam nahm sie den Beutel in die Hand und sortierte den Inhalt zwischen ihre Beine. Ein Stück Wachs, eine Glasscherbe. Einen Wollbausch zum Auftragen von Salben. Theriakkugeln. Allerlei in Häute gewickelte Kräuter, ein Fläschchen mit einem Rest Öl. Der zierliche Leinenbeutel mit den Stechapfelsamen wog schwer in ihrer Hand. Trota mochte die Samen nicht - Mutter hingegen hatte sie sehr gemocht, weil sie sie das Fliegen gelehrt hatten. Spielerisch zerdrückte Ima ein paar Samen zwischen den Steinen und bröselte sie in das Öl. Es färbte sich drohend, und sie schalt sich für ihre Ungeschicklichkeit - sie hatte zu viel genommen.
    Nein. Der Rausch eines Zauberfluges war auch keine Lösung und würde keine Idee bringen. Voller Scham, das
Gemisch überhaupt hergestellt zu haben, packte sie den Beutel wieder zusammen.
    Ob Gott helfen konnte?
    Sie zog ihren Mantel aus dem Bereich des Feuers und kniete sich hin. Faltete die Hände, wie sie es zuhause gelernt hatte, und sprach den ersten Psalm.
    »Deus, Deus meus es tu, ad te de luce vigilo. Sitivit in te anima mea, te desideravit caro mea. In terra deserta et arida et inaquosa.«
    Gott schwieg.
    »Quia fuisti adiutor meus, et in velamento alarum tuarum exsultabo. Adhaesit anima mea post te, me suscepit dextera tua …«
    Gott schwieg beharrlich.
    Er schwieg zu all ihren Gebeten, zum Pater noster und zu den anderen Psalmen, die ihr nach und nach in den Sinn kamen, und Er schwieg auch, als sie sich flach auf den Boden legte, wie die Priester das taten.
    »Du willst mich nicht erhören«, flüsterte sie. »Du willst mir nicht helfen, du verweigerst dich … Warum tust du das? Warum hilfst du mir nicht?« Traurigkeit wand sich in ihrem Bauch zu einem festen Knoten, und sie begriff zum ersten Mal in ihrem Leben, was die Mutter mit Gott all die Jahre für einen Hader gepflegt hatte.
    Gott ließ sich nämlich nicht bitten. Gott war genauso stolz wie all die Krieger, die sie kennengelernt hatte - und stolz wie sie. Entweder Er gab aus freien Stücken - oder man verlor und hatte sein Schicksal anzunehmen, so, wie es einem bestimmt war. Und vielleicht war es diese Erkenntnis, die ihren Vater einst umgetrieben und zum Feind der friedlichen Mönche von St. Cuthbert gemacht hatte: Der Mensch war und blieb allein, und alle Kraft würde einzig aus seinem Herzen wachsen. Das Herz war die Quelle für Kraft und Mut, und auch für die Bereitschaft zu sterben.
Der Mensch musste sie sprudeln lassen, sonst ging er in Eintönigkeit dahin.
    Gott sah nur zu. Und wenn es Ihm gefiel, lenkte er diese Kraft - Er lenkte sie, doch erschaffen musste man die Kraft selbst. Und man konnte sie nur aus dem eigenen Herzen schöpfen, das hatte auch ihr Vater stets geglaubt.
    Ima legte das Gesicht in die Hände und weinte über ihre neu entdeckte Einsamkeit.
     
    Der Mond wunderte sich ein wenig über die Kleider, die verstreut am Ufer lagen, und über die kleinen Wellen, die anders plätscherten als sonst um diese Zeit.
    Bis zum Hals hockte Ima im Wasser.
    Das Wasser als Element der Reinheit hatte sie schließlich gelockt: Es hatte ihr versprochen, Erlösung zu bringen, wenn sie sich ihm nur anvertraute - es hatte auch versprochen, alle Zweifel von ihr abzuwaschen. Übrig bleiben würden Erkenntnis und ein Plan. Bereitwillig war sie daraufhin in das kalte Wasser gestiegen, hatte sich auf die harten Kiesel hingekniet, die Augen geschlossen und sich dem Element dargeboten.
    Von hinten drang der Geruch der verbrannten Hölzer an ihre Nase, und auch der Duft des Salbeis, von dem sie nach ihren zwecklosen Gebeten ganze Ästchen ins Feuer geworfen hatte, um wie die Mutter Schutzgeister herbeizurufen, doch nichts davon löste etwas aus. Keine Magie, keine übernatürlichen Kräfte, keine Schutzgeister. Keine Erkenntnis. Außer der, die sie schon gewonnen hatte - das Antoniusfeuer fraß am Menschen, bis er unter höllischen Schmerzen starb, und ihre Kräuter würden

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