Die Totengräberin - Roman
allermeisten verabscheute.
Als Lukas sah, dass Carolina in einen grauen Kunststoffsarg gelegt wurde, kehrte er um und ging langsam zurück nach La Roccia.
Magda wusch gerade den Wagen, als er den Weg heraufkam. Sie drehte den Schlauch zu, lächelte und umarmte ihn.
»Schrecklich, das alles«, sagte sie, »warst du noch an der Unfallstelle?«
Lukas schüttelte den Kopf. »Nein. War ich nicht. Aber sie ist tot.«
»Ja«, sagte Magda, »ja, das hab ich mir gedacht.«
»Ich verstehe das alles nicht!« Lukas wischte den Schaum vom Autolack. »Und ich glaube auch nicht, dass sie ein Mensch war, der unvorsichtig oder leichtfertig viel zu schnell fährt. Schließlich kannte sie sich mit Harleys aus. Warum sollte sie auf dieser Straße ihr Leben riskieren?«
»Wie willst du das beurteilen? Zerbrich dir jetzt bitte nicht den Kopf über Carolina. Aber da man nicht ohne Grund verunglückt, wird sie wohl doch zu schnell gefahren sein.«
Ja, das wird sie wohl, dachte Lukas, verdammte Scheiße.
Er wusste nur eines: Johannes hatte sie geliebt, und jetzt waren sie beide tot.
Ihm war zum Heulen zumute, und er ging ins Haus, weil er Magdas Unbekümmertheit nicht ertragen konnte.
Sie pfiff leise vor sich hin, als sie den Schaum vom Wagen spritzte.
64
Das war nicht sein Tag. Der Albtraum schien kein Ende zu nehmen, jedenfalls kam es Neri so vor. Als er am Abend nach Hause kam und sich auf ein Glas Wein mit Gabriella freute, lag der Zettel auf dem Tisch, vor dem er sich seit Monaten fürchtete.
»Ich bin in Rom«, stand dort in Gabriellas weichen, runden Druckbuchstaben , »bei meiner Mutter. Eine Nachbarin hat mich angerufen. Es geht ihr nicht gut, sie kommt nicht mehr klar. Zweimal schon ist sie einkaufen gegangen und hat nicht mehr nach Hause gefunden. Sie stellt ihre Schuhe in den Kühlschrank, wäscht sich mit Butter die Hände und lässt Geldscheine vom Balkon flattern. Ich hab Angst, dass sie noch das Haus in Brand steckt oder sonstigen Blödsinn macht. Im Moment kann man sie nicht allein lassen, darum weiß ich auch noch nicht, wie lange ich hierbleiben muss. Wenn es irgendetwas gibt, das ich für Dich in Rom erledigen kann, dann lass es mich wissen. Wir telefonieren, Tesoro. Ach ja, und koch Dir so oft wie möglich Brokkoli. Der ist gut für Deine Blutwerte. Einfach zehn Minuten in Salzwasser kochen, mit Muskat, Pfeffer, Salz und Knoblauch würzen, Parmesan darüberreiben, drei Minuten in den Ofen - fertig. Du schaffst das schon, Amore. Sei umarmt. Gabriella.«
Natürlich. Seine Schwiegermutter Gloria. Daran hatte er gar nicht gedacht. Sie war für Gabriella der perfekte Grund,
nach Rom zu fahren und ihn hier in Ambra sitzen zu lassen. Mit diesen ganzen hochinteressanten Fällen. Heute Nachmittag war er noch zu einem Haus gegenüber der Tabakfabrik gerufen worden. Obwohl in diesem Haus fünf Hunde lebten, war eingebrochen worden. Na, fabelhaft! Wahrscheinlich hatte der Dieb fünfhundert Gramm Mortadella gekauft und die Meute damit bestochen. Natürlich hatte niemand etwas gesehen oder gehört, und der Hausbesitzer, ein fünfundsiebzigjähriger Mann, hatte gerade ein Mittagsschläfchen gemacht, während sein Haus ausgeräumt wurde.
Neri konnte gar nicht beschreiben, wie sehr ihm das alles zum Hals heraushing. Und wenn er dann am Abend in eine leere kalte Küche kam, war das Leben überhaupt nicht mehr zu ertragen.
Vor ungefähr zehn Tagen hatte er noch mit Gloria telefoniert. Da erschien sie ihm wach und vollkommen auf der Höhe. Sie hatte sich über eine Dreiviertelstunde maßlos darüber aufgeregt, dass ihre Nachbarin jeden Morgen den Bürgersteig vor ihrem Haus fegte und den Staub- und Dreckhaufen dann vor Glorias Tür liegen ließ. Und diese liebreizende Nachbarin sollte jetzt angeblich besorgt bei Gabriella angerufen haben, weil Gloria innerhalb weniger Tage eine handfeste Demenz entwickelt hatte?
Diesmal glaubte Neri seiner Frau kein Wort, aber es war ja auch egal. Gabriella hatte einen Grund gefunden, war weg und konnte sich in Rom amüsieren, während er in den leeren Kühlschrank guckte und über seine verpfuschte Karriere nachdachte.
Eines war ihm allerdings gelungen. Unmittelbar nach dem Unfall hatte er sich ein Herz gefasst und seine deutschen Kollegen in Berlin informiert. In holprigem Englisch
versuchte er ihnen klarzumachen, dass der Unfall wirklich ein Unfall war und keinerlei Fremdeinwirkung oder -verschulden vorlag. Weitere Ermittlungen erübrigten sich. Die Familie des Opfers könnte
Weitere Kostenlose Bücher