Die Totengräberin - Roman
Giovanni einen Beo mitgebracht. Dort hatte der Vogel schon anderthalb Jahre auf einen Käufer gewartet, und Adolfo konnte seinen traurigen Gesang nicht ertragen, wenn er immer und immer wieder die Türglocke nachmachte. Vielleicht ahnte er, dass nur von dort Rettung kommen konnte.
Er war ein Beo, in der Zoohandlung hatten ihn alle nur »Beo« genannt, also behielt er den Namen und hieß auch im Hause Topo »Beo«.
Sie liebte ihn von der ersten Minute an, verwöhnte ihn und redete den ganzen Tag mit ihm wie mit einem Kind oder einem Freund. Und schon bald sagte Beo »buongiorno«, wenn jemand ins Zimmer kam, und »grazie«, wenn ihm jemand ein Stück Apfel oder Pfirsich durch die Gitterstäbe schob. Er pfiff die ersten Takte der italienischen Nationalhymne und konnte blubbern und zischen wie die Espressomaschine.
Adolfo hingegen machte sich einen Spaß daraus, Beo Schimpfworte beizubringen. Außerdem fluchte Adolfo gern und viel über alles und jeden. So dauerte es nicht lange, bis Beo das Schimpfwort »stronzo« sagen konnte und die Besucher mit »buongiorno, stronzo« begrüßte. Die meisten fanden das komisch und konnten darüber lachen. Nur einer nicht: Stefano. Er fühlte sich angegriffen und beleidigt und hatte immer mehr das Gefühl, der Vogel würde
ihn hassen. Ganz schlimm wurde es, als Beo auch noch lernte, das Lachen Albinas zu imitieren.
Beo krähte, sang und plapperte in seinem Käfig oder schlief auf Albinas Schulter, und Topo hatte nicht übel Lust, ihm den Hals umzudrehen.
Am Abend brachten die unerträglichen Schmerzen Albina fast um den Verstand. Sie versuchte Stefano anzurufen, aber er ging nicht an sein Handy. Sie versuchte es immer und immer wieder, aber er hatte es ausgeschaltet und antwortete nicht. Schließlich betete Albina nur noch um die Gnade, von dem Elend in dieser Welt endlich erlöst zu werden.
Als sie noch laufen konnte, hatte sie oben in ihrem Schlafzimmer geschlafen, das einzige Zimmer, das ein kleines Fenster nach Westen hatte, von dem aus sie bis auf die Piazza gucken konnte. Das war nun alles vorbei. Topo hatte das Bett, das sie zweiunddreißig Jahre mit Adolfo geteilt hatte, zersägt und nach unten ins Wohnzimmer geschleppt, damit sie schneller ins Bad kam, ohne Treppen laufen zu müssen.
Die Piazza hatte sie jetzt schon anderthalb Jahre nicht mehr gesehen, sie konnte nur die Musik hören, wenn beim Festa della Lumaca drei Abende lang bis Mitternacht getanzt wurde. Und auch das prachtvolle Feuerwerk am letzten Abend sah sie nie mehr. Es war alles vorbei. Im Grunde war sie schon tot.
Die Sehnsucht nach ihrem verlorenen Sohn zerriss ihr fast das Herz. Sie wollte sich wenigstens von ihm verabschieden und ihm sagen, dass sie ihn liebte. Immer geliebt hatte. In jeder Sekunde ihres Lebens.
Ihr blieb nicht mehr viel Zeit, und Stefano hörte sie nicht.
Oh Dio, dachte Albina, warum hast du mich verlassen?
Die Komödie »La Raganella« war schwungvoll inszeniert, hatte klugen Wortwitz und jede Menge komischer Situationen. Topo hatte mehrmals Mühe, sich das Lachen zu verkneifen, denn er wollte sich keine Blöße geben und sein undurchschaubares Pokerface behalten. Viviana Rossi hatte zwar nur eine Nebenrolle, gefiel ihm aber ausgesprochen gut. Wenn sie sich nun auch auf der Premierenfeier ein wenig zugänglich zeigte, könnte es durchaus sein, dass er sich zu ein paar positiven Sätzen hinreißen ließe, was sonst eigentlich überhaupt nicht seine Art war.
Beim Schlussapplaus klatschte er verhalten, indem er seine Hände versteckt hinter dem Sitz des Vordermannes nur leicht bewegte und absolut lautlos gegeneinanderschlug. Niemand sollte seiner Mimik und Gestik entnehmen können, was er über das Stück dachte.
Die halbe Stunde, die jetzt begann, war für ihn die schlimmste und anstrengendste des ganzen Abends. Er musste warten. Das war etwas, was er noch nie gekonnt hatte. Möglichst elegant herumlungern, bis die Schauspieler abgeschminkt waren und auf der Feier im Foyer erschienen. Sich nicht aufdrängen, zurückhalten, erst wenn die Schauspieler bereits ihr erstes Glas getrunken hatten, angeschlendert kommen, als hätten alle auf ihn gewartet und nicht umgekehrt.
Topo verließ das Theater und trank in einer kleinen Bar gegenüber einen Caffè corretto. Die Nacht würde lang werden, er musste munter bleiben.
Er blätterte in einer Tageszeitung, aß drei Marzipankügelchen und betrat genau eine Dreiviertelstunde später wieder das Theaterfoyer. Und erst in diesem Moment
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