Die Totengräberin - Roman
einfach zu viel gequatscht.
Schade, sie hatte geglaubt, endlich eine Freundin gefunden zu haben. Aber das war wohl ein großer Irrtum gewesen.
47
»Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Hast du jetzt völlig den Verstand verloren? Neri, ich fasse es nicht!«
Als Neri nach Hause kam, hatte er Gabriella sofort erzählt, dass er bei der Signora auf La Roccia gewesen war und den Eindruck gewonnen hatte, dass wirklich alles in Ordnung war. Allerdings nagte in ihm das schlechte Gewissen, dass er den Mann auf La Roccia nicht nach seinem Ausweis gefragt hatte. Daher hatte er, um Gabriella abzulenken, das Gespräch so detailliert und wahrheitsgemäß wie möglich wiedergegeben. Und war regelrecht stolz auf sich, dass es ihm fast wortwörtlich gelungen war.
Noch hatte Gabriella gar nicht nach den Ausweispapieren gefragt, aber sie war bereits jetzt wütend und schrie ihn an. Knallrot im Gesicht schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, dass ihr die Hand wehtat.
Neri verstand die Welt nicht mehr und war sich keiner Schuld bewusst.
»Wie kannst du nur so dämlich sein«, brüllte Gabriella weiter, »all diese Dinge zu erwähnen, die ich dir erzählt habe? Magda hat sie mir anvertraut, und du posaunst sie aus, als stünde der Text in Großbuchstaben an jeder Hausmauer!
Was hast du dir denn dabei gedacht, hä? Gar nichts wahrscheinlich.«
Neri war jetzt genauso rot wie seine Frau. Vor Scham und vor Wut.
»Wieso? Das sind doch alles keine Geheimnisse, Gabriella! Signore Tillmann hat die Handynummer von seiner Frau nicht gewusst. Na und? Ich werde doch wohl mal danach fragen dürfen! Und er war krank. Es ist meine Pflicht nachzufragen, was er für eine Krankheit hatte! Wer nicht fragt, bekommt auch keine Antworten!«
Gabriella verzweifelte. Sie sank auf den Küchenstuhl und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Neri«, hauchte sie, »begreifst du es immer noch nicht? Magda weiß nicht, dass ich deine Frau bin. Sie wird denken, ich hätte brühwarm alles, was sie mir anvertraut hat, sofort der Polizei mitgeteilt. So etwas ist unmöglich! Ich werde nie wieder irgendetwas von ihr erfahren! Aufgrund deiner fabelhaften Gesprächstaktik ist unsere Informationsquelle versiegt, mein Schatz! Und wie weit du mit deinen Nachforschungen und Verhören kommst, wissen wir ja.«
Neri dämmerte es langsam. Er hatte es mal wieder vergeigt, Gabriella hatte völlig recht. Die Fragen, die er Magda und ihrem Mann gestellt hatte, waren vollkommen unüberlegt gewesen. Schließlich konnte er nicht hellsehen. Er hatte sozusagen innerbetriebliche Geheimnisse ausgeplaudert.
»Ich kann die Informationen von überall her haben«, versuchte Neri abzuwiegeln. »Von Raffaella, von Margitta, von Emilio … Die quatschen alle gern.«
»Sicher. Ich muss nicht unbedingt mit meinem Wissen gleich zu dir gerannt sein. Das schon. Aber ich habe in Magdas Augen meinen Mund nicht halten können. Wem
gegenüber auch immer. Das steht fest. Und darum wird sie mir in Zukunft nichts mehr erzählen. Herzlichen Dank dafür!«
Jetzt haben wir wieder die Stufe erreicht, wo sie sarkastisch wird, dachte Neri. Jetzt gehe ich entweder aus dem Haus, oder der Streit eskaliert.
»Liebes«, schnurrte er, »reg dich nicht auf. Es lohnt sich nicht. Vielleicht hatte ich heute nicht meinen allerbesten Tag, das kann sein, aber es ist egal, denn - wie ich schon sagte und wie ich es immer wusste - es gibt keinen Fall. Der Mann ist wieder da und Ende. Wir können das Ganze vergessen.«
»Ich glaube, es bringt nichts, wenn ich dir jetzt zum hundertsten Mal erkläre, dass du unrecht hast. Es gibt einen Fall. Alle meine Warnlampen blinken, und nicht nur das, seit gestern hör ich auch noch die Sirene. Aber du glaubst mir ja nicht. Also setz dich in dein Bürostübchen und bohre in der Nase.« Gabriella sprach gefährlich leise. »Ich habe langsam keine Lust mehr, Neri. Ich hocke nicht mehr in diesem Haus, in dieser Stadt, in dieser Provinz und ergötze mich an hunderttausend Sonnenblumen, die zwei Wochen blühen und dann die Köpfe hängen lassen. Ich kann nicht mehr! Ich sehe mir das nicht länger an, wie du eine Chance nach der andern vermasselst und so blind durch die Gegend rennst wie meine Socke. Bei dir kann ja vor deinen Augen einer abgestochen werden, und du merkst es nicht, weil vielleicht der Täter in dem Moment, in dem er zusticht, ein freundliches ›Salve‹ flötet. Du kriegst nichts mit, Neri! Du hast keinerlei kriminelle Fantasie, und ohne kriminelle
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