Die Totenmaske
ausgesetzt.
Dankbar war Zoe dennoch, sich nicht mit Kochen und Putzen beschäftigen zu müssen.
»Die Kamps haben sich für morgen angekündigt. Sie möchten einen Bestattungsanzug vorbeibringen und die Gelegenheit nutzen, um vor der Trauerfeier allein Abschied von ihrem Sohn zu nehmen.« Isobel räumte ihre Putzmittel mit dem Etikett nach vorn in den Schrank.
»Schon morgen?« Zoe brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen.
Auf dem Heimweg war sie mit der Planung für die Probenentnahme an Boris’ Leichnam beschäftigt gewesen. Obwohl es schon Nachmittag war, wollte sie zumindest die Vorbereitungen treffen, um dem Kommissar rechtzeitig die Ergebnisse zu verschaffen. Über die anderen beiden Toten im Keller hatte sie nicht nachgedacht.
»Das sagte ich doch«, erwiderte Isobel mit gerunzelter Stirn. »Frau Kamps wurde gerade aus dem Krankenhaus entlassen. Sie war zusammengebrochen, als sie vom Tod ihres Sohnes erfuhr. Ihrem Mann ging es wohl auch nicht besser, so dass ein enger Freund die Identifizierung mit der Polizei übernommen hatte. Jetzt erwarten sie natürlich, ihren Sohn in einem einigermaßen ansehnlichen Zustand vorzufinden. Dürfte doch kein Problem für dich sein, den Jungen herzurichten, oder irre ich mich?«
Isobel sprach in einem Ton, als handelte es sich darum, jemandem einen neuen Haarschnitt zu verpassen, und nicht um die hygienische Versorgung eines Unfalltoten. Manchmal konnte ihre Ignoranz wirklich nervig sein. Doch sie hatte ja keine Ahnung vom Zustand der drei Leichen im Behandlungsraum, zumal sie die meiste Zeit deren Existenz generell auszublenden schien.
»Das bekomme ich schon hin«, antwortete Zoe leichthin. Innerlich stöhnte sie auf, weil ihr Arbeitsplan durcheinander geworfen wurde. Sich für flexibel zu halten, war etwas anderes, als wenn es dann tatsächlich von einem gefordert wurde. Auch wenn es Zoe nicht passte, gab es Dinge, die keinen Aufschub duldeten. Schließlich wurde von ihr neben Professionalität auch Einfühlungsvermögen verlangt, wobei ihr Ersteres deutlich mehr lag. Aber sie bemühte sich, und wenn Familie Kamps morgen Abschied von ihrem Sohn nehmen wollte, so würden sie ihn auch zu sehen bekommen – in einem passablen Zustand, versteht sich. Zoe täuschte Interesse an den brutzelnden Hähnchenschenkeln im Backofen vor und verzog die Miene wegen Isobels stichelnder Frage.
Vermutlich hatte die Polizei den Kamps davon abgeraten, den Leichnam zu identifizieren, weil der Anblick unerträglich für die Eltern sein würde. Nun wollten sie nachholen, wozu sie nicht in der Lage gewesen waren. Selbstverständlich würde Zoe Sorge dafür tragen, diesen Leuten einen angemessenen persönlichen Augenblick zu ermöglichen.
Am besten fing sie gleich damit an, um rechtzeitig fertig zu werden. Auf dem Weg in ihren Behandlungsraum hatte sie ihre Planung bereits umgeschmissen und wieder neu sortiert. Unten angekommen, sprenkelte sie zunächst kaltes Wasser in ihr Gesicht, um den Anflug von Müdigkeit zu vertreiben. Wenn sie ehrlich mit sich war, kam ihr die Programmänderung nicht ganz ungelegen. Sie konnte es sich nicht erklären, doch sie fühlte sich seltsam unkonzentriert. Ein wenig durch den Wind. Jedenfalls war ihr heute nicht danach, in Boris’ Gesicht blicken zu müssen. Auch nicht in das tote. Eine Routinebehandlung war genau richtig, um sich zu entspannen.
Zoe zog ihren Kittel an, legte sich die nötigen Instrumente zurecht und zog die Rollliege aus dem Kühlhaus. Die Vorbehandlung der Leichen, bei der sie ihnen eine Injektion mit präventiver Flüssigkeit in das arterielle System verabreicht hatte, hatte ihr bereits den notwendigen Aufschub ermöglicht. Die bakterientötende Substanz schaffte ein antiseptisches Milieu, was den Verfall der beiden Körper im Kühlhaus aufhalten würde. Modern Embalming nannte sich diese gesonderte Form der hygienischen Totenversorgung, die nicht so neuartig war, wie der Name es vielleicht vermuten ließ. Die Idee ging zurück auf einen französischen Offizier und Chemiker in der Zeit der Sezessionskriege im achtzehnten Jahrhundert. Man hatte die verstümmelten Leichen der Soldaten nicht unbehandelt in die Heimat zurückschicken wollen.
Zoe streifte sich die Latexhandschuhe über und begutachtete den Leichensack auf der Trage. Die äußere Form verhieß nichts Gutes. Nicht was ihre Arbeit betraf, sondern im Sinne des Anblicks, den der tote Junge seinen Angehörigen bieten würde. Statt der üblichen knapp zwei Meter Länge
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