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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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mit ebener glatter Oberfläche, was auf einen liegenden Körper im Innern schließen ließ, ähnelte dieser einem nachlässig gepackten Kartoffelsack.
    Zoe plazierte die Liege parallel zum Sektionstisch und stellte die Bremsen fest. Von der anderen Seite des Tisches aus beugte sie sich vor und ergriff beherzt die nachgebende Kunststoffhülle. Dabei stemmte sie sich mit einem Bein an der Querleiste in Bodennähe ab. Sie zog den Leichensack wie eine überfüllte Einkaufstüte über den Aluminiumrand des Sektionstisches. Ihre Oberarmmuskeln spannten sich unter der Anstrengung an. Der Druck auf Zoes Bandscheibe erinnerte sie mahnend an ihre physischen Grenzen. Dabei hatte sie schon deutlich höhere Gewichtsklassen gestemmt. Aber vielleicht lag es an der unhandlichen Form des Leichenpakets. Ein ausgestreckter Körper ließ sich leichter von der Trage auf den Tisch ziehen. Wie dem auch sei, der schwierigste Teil war erledigt. Der eingehüllte Körper rutschte wie geschmiert in die Mitte des Tisches.
    Im Beisein des Kommissars hatte Zoe den Leichensack nur an der Stelle geöffnet, wo sie den Brustkorb ertastet hatte, um die Probe zu entnehmen. Ein kurzer prüfender Blick ins Innere des Sacks hatte ihr das erwartete Durcheinander von Gliedmaßen bestätigt. Gesicht und Oberkörper schienen bis auf ein paar Schrammen unversehrt. So weit war sie im Bilde. Über den Rest des Körpers konnte sie nur mutmaßen. Sah ganz nach Grobarbeit aus. Erfahrungsgemäß würde sie dafür jedoch nur ein paar Stunden brauchen. Zoe zog die Karte aus der am Leichensack angebrachten Plastikhülle und überflog die knappen Angaben, um sicherzustellen, dass die eingetragenen Daten auch mit der Person im Leichensack übereinstimmten. Es handelte sich um Lars Kamps, den sie in seine Einzelteile zerlegt im Leichensack fand, nachdem sie den Reißverschluss aufgezogen hatte.
    Zoe schnaubte leise. »Da ist aber jemand ganz schön durcheinandergeraten! Aber keine Sorge, das haben wir bald!«
    Den Tablettwagen mit den kosmetischen Artikeln und Spateln für die Feinarbeit dürfte sie vorerst nicht brauchen. Sie schob ihn beiseite und legte sich die entsprechenden Instrumente bereit.
    »Okay, Lars, welche Musik nehmen wir – deine oder meine?« Da Lars nicht mehr widersprechen würde, wählte Zoe eine CD mit Rockmusik. Hätte ihm vielleicht auch gefallen. Kurz darauf erfüllten die rhythmischen Klänge den Raum. Sie schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Dabei zupfte sie ihre Gummihandschuhe in Form. Ein tiefer Atemzug, und schon förderte sie den rechten Unterarm zutage. Er war unterhalb des Ellbogens aus dem Gelenk gerissen worden. Vermutlich war Lars’ Körper an der Autotür hängen geblieben, bevor er hinausgeschleudert worden war. Ein langer Hautlappen aus dem Oberarmbereich hing über dunkelrotem Fleisch. Die Leichenstarre hatte sich längst gelöst, der Zersetzungsprozess begonnen, wie die blaugrauen Verfärbungen der Haut und die schwarzen Fingernägel zu erkennen gaben. Zoe würde später die Hände so übereinanderlegen, dass die noch am Körper befindliche Hand die verfärbten Fingernägel der anderen verdeckte. Eine angedeutete Gebetshaltung.
    Sie hob den schlaffen Hautlappen beiseite. Er erinnerte mehr an den faltigen Arm einer alten Frau als an die Überreste eines jungen Mannes. Eingehend betrachtete sie die Abrissstelle. Das weiße Kugelgelenk der Elle trat hervor wie der elfenbeinfarbene Knauf eines Gehstocks. Den Hautlappen würde sie mit einem Skalpell entfernen, um eine halbwegs glatte Fläche zu schaffen, an der sie den Arm wieder anbringen konnte. Sie nahm sich vor, das Amputat später zunächst anzukleben, bevor sie nähen würde. Hauptsache, die Gliedmaßen kamen wieder an Ort und Stelle. Natürlich hätte sie die Körperteile auch einfach vor die Stümpfe legen und es dabei belassen können. Niemand würde unter dem Bestattungsanzug etwas bemerken. Ebenso erwartete Zoe nicht, dass ihr Aufwand gewürdigt wurde. Aber darum ging es nicht. Sie könnte auch behaupten, sie täte es für den Verstorbenen. Doch Lars merkte ja nichts mehr, also tat sie es für sich – für ihre moralischen Grundsätze, für ihr Berufsethos.
    Zoe legte den Arm auf den Beistelltisch, um sich der nächsten Gliedmaße zu widmen, deren Existenz als Teil eines Großen und Ganzen schlagartig geendet hatte. So schnell konnte es gehen. Körperteile waren nicht besonders strapazierfähig, wenn sie einem Sturz bei sehr hoher Geschwindigkeit ausgesetzt waren.

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