Die Totensammler
kaltem Wasser und lässt sie hineingleiten. Sie blinzelt und sieht ihn an, aber sie sagt immer noch nichts.
»Gleich geht’s dir besser«, sagt er, füllt seine Hände mit Wasser und gießt es ihr in den Mund. Und diesmal schluckt sie. Er lächelt. Doch dann verschwindet sein Lächeln. Er kann den Kleber nicht finden. Er hat ihn im Haus von Coopers Mom doch aus seiner kaputten Hose in die neue getan – oder? Seit er als Junge zusammengeschlagen wurde, kommt es immer mal wieder vor, dass er einen Gegenstand, den er irgendwo abstellt, nie wieder zu Gesicht kriegt. Es kann passieren, dass er seine Armbanduhr auf einen Tisch legt und zwei Tage später unter dem Bett oder im Garten wiederfindet. Oder dass ein Schlüssel, sobald er ihm den Rücken zukehrt, einfach verschwindet. Schraubenzieher, Münzen, Bücher, ja, Schuhe – ganz egal. Es ist frustrierend. Und macht ihn wahnsinnig. Er sollte als Zauberer auftreten.
Und jetzt fehlt der Kleber, obwohl er ihn ganz bestimmt eingesteckt hat. Wie soll er sonst dafür sorgen, dass das Mädchen den Mund hält?
Seine Mutter – die aus Grover Hills – hat es mit ihm genauso gemacht. Wenn er unten im Keller laut brüllte, weil er Angst hatte, kam sie mit ein paar Pflegern herunter, und sie hielten ihn fest, schmierten ihm den Kleber auf die Lippen und drückten sie zusammen. Er konnte dann gar nicht mehr aufhören, mit seinen Fingern an seinem verklebten Mund herumzuspielen. Er befeuchtete sie in dem Wassereimer und drückte langsam die Lippen auseinander, jedes Mal nur ein kleines Stück, damit die Haut nicht einriss – aber meistens tat sie es doch. Manchmal war es zu viel Kleber oder eine andere Marke, und sosehr er sich auch bemühte, aus irgendeinem Grund kriegte er den Mund nicht auf. Wenn sie ihn dann endlich aus der Zelle ließen, beträufelten sie seinen Mund mit Alkohol, Terpentin oder einer anderen ekelhaft schmeckenden Flüssigkeit und rieben den langsam größer werdenden Spalt damit ein. Das tat richtig weh, doch der Geschmack war noch schlimmer, und danach war seine Haut tagelang immer ganz rau. Der Strohhalm ist seine eigene Idee gewesen. Er weiß, wie es ist, wenn man Durst hat und nichts trinken kann.
Mit dieser Frau wird er es genauso machen, sobald er den Kleber gefunden hat.
Und die Strohhalme.
Er lächelt sie an, und zum ersten Mal fällt ihm auf, wie attraktiv sie ist; prompt wird er ein wenig rot. Er träufelt noch mehr Wasser in ihren Mund, bevor er sie aus der Wanne zieht und sie, nass wie sie ist, an eines der Betten fesselt. Dann geht er nach draußen zu Coopers Mutter, die sich auf die Seite gerollt hat und gerade versucht, sich aufzurappeln.
Kapitel 47
Schroder fährt zum Haus von Cooper Rileys Mutter, vielleicht in der Hoffnung, dass Adrian dort eine Straßenkarte verloren hat, auf der das Versteck eingekreist ist, wo er sich mit Cooper, dessen Mutter und vielleicht auch mit Emma verkrochen hat.
Ich fahre mit einem der Beamten nach Grover Hills. Dort kann ich für Emma mehr tun als in irgendeinem Motelzimmer. Der Beamte spricht nicht viel. Er war noch nicht in der Abteilung, als ich dort vor drei Jahren gearbeitet habe, und ist daher über meine Vorgeschichte nicht informiert, was angenehm ist. Er verfährt sich auch nicht – er hat die Strecke heute bereits mehrmals zurückgelegt und kennt die verschiedenen Feldwege. Vielleicht ist er auf einer Farm aufgewachsen, oder die Ausbildung ist inzwischen besser als zu meiner Zeit. Sunny view und Eastlake waren ein Reinfall, trotzdem werden die Kriminaltechniker sie auf Fingerabdrücke und Blutspuren überprüfen und das Gelände nach Leichen absuchen.
Wir fahren durch die Wagenburg, die die Reporter um Gro ver Hills gebildet haben, und man bombardiert uns mit Fragen und richtet die Scheinwerfer auf uns. Der Beamte, geblendet von einer der Kameras, streift eine der Reporterinnen mit der Seite seiner Stoßstange. Sie landet im Dreck. Während sie sich laut fluchend wieder aufrappelt, droht sie mit einer Klage, bis ihr klar wird, dass das ein Fehler ist, dass so eine Verletzung eine noch größere Story bedeutet und außerdem mehr Schmer zensgeld, also hält sie den Mund und sackt theatralisch in sich zusammen. Sämtliche Kameras sind jetzt auf sie gerichtet, wie sie mit übertrieben schmerzverzerrtem Gesicht daliegt. Der Beamte hält an, steigt aus und macht ein paar Schritte auf sie zu, doch die Kameras und die zusätzlichen Scheinwerfer, die ihn inzwischen anstrahlen, versperren ihm den
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