Die Totensammler
hochzukrempeln, doch der Elektroschocker in der Tasche ist im Weg. Er nimmt ihn heraus und legt ihn auf die Kommode hinter sich, sodass Emma Green nicht drankommt. Dann krempelt er seine Hose hoch, um den Verbandsmull freizulegen. »Ich wurde gestern Nacht angeschossen, und die Wunde hat sich entzündet. Ich möchte, dass du sie sauber machst und verbindest.«
»Ich bin keine Krankenschwester«, sagt sie.
»Aber du bist eine Frau«, sagt er; seiner Erfahrung nach wissen alle Frauen, was zu tun ist. »Wenn du die Wunde verarztest, lass ich dich gehen.«
»Woher weiß ich, dass Sie nicht lügen?«
»Ich lüge nicht«, lügt er und hat deswegen ein schlechtes Gewissen.
»Was genau soll ich tun?«
»Die Wunde säubern und verbinden. Damit es mir besser geht.«
»Und dafür lassen Sie mich gehen?«
»Ja.«
»Versprochen?«
»Beim Leben meiner Mutter.«
»Dann müssen Sie mich losmachen.«
»Ich habe eine Pistole«, sagt er und fuchtelt ein wenig mit der Waffe herum, obwohl das Mädchen sie inzwischen bestimmt bemerkt hat. »Wenn du versuchst abzuhauen, schieße ich. Bitte zwing mich nicht dazu, das ist wirklich das Letzte, was ich tun möchte«, sagt er, und das ist die Wahrheit.
»Wo ist der Erste-Hilfe-Kasten?«
»Im Badezimmer sind ein paar Sachen«, sagt er, »aber ich kenn mich damit nicht aus, das meiste davon ist sowieso alt.«
»Machen Sie mich los und bringen Sie sie her.«
»Nein. Erst hol ich die Sachen, dann mache ich dich los.«
Er geht zurück ins Badezimmer. Und starrt in den Spiegel. Der Ausschlag ist unverändert, aber sein Gesicht ist jetzt nicht mehr gerötet – im Gegenteil, er ist ziemlich blass. Wie ein Gespenst. Er wirft die Sachen in eine Plastiktüte und trägt sie ins Zimmer. Dann geht er erneut ins Bad, füllt einen Eimer mit warmem Wasser und holt ein paar Wattebäuschchen und saubere Lappen.
»Es geht leichter, wenn Sie Ihre Shorts ausziehen«, sagt das Mädchen.
»Äh … ich weiß nicht. Ich denke, es geht auch so«, sagt er und muss daran denken, wie er sich auf die Prostituierte übergeben hat.
»Sie sind im Weg«, sagt sie.
»Es ist nur so, dass … dass …« Er weiß nicht, wie er den Satz beenden soll. Er hat noch nie vor einer Frau seine Hose runtergelassen, außer letzte Nacht, als Coopers Mutter ihn verarztet hat. Aber er hat in ihr mehr eine Mutter gesehen und weniger eine Frau. Das ist ein gewaltiger Unterschied. »Ich behalte sie an.«
»Okay. Ihre Entscheidung. Jetzt müssen Sie mich losmachen.«
»Ich weiß.«
»Außerdem hätte ich gerne was zu trinken.«
»Wenn wir hier fertig sind.«
»Und Sie versprechen, dass Sie mich gehen lassen?«
»Klingt, als würdest du mir nicht glauben.«
»Ich glaube Ihnen«, sagt sie. »Schließlich haben Sie mich vor meinem Entführer gerettet, und dafür bin ich Ihnen dankbar.«
Adrian lächelt. Er mag sie.
»Wie heißen Sie?«, fragt sie.
»Adrian.« Er hatte nie vor, ihr seinen Namen zu verraten, und er kann nicht glauben, wie schnell er ihm jetzt über die Lippen kommt.
»Adrian, ein schöner Name.«
»Wirklich?«
»Oh ja«, sagt sie und lächelt ihn an. Wow, dieses Lächeln! Er spürt, wie sein Herz zu pochen anfängt. »Er erinnert mich an klassische Liebesgeschichten.«
»Wirklich?«
»Oh ja«, sagt sie. »Adrian …«
»Ja?«
»Nichts. Ich habe nur deinen Namen ausgesprochen. Er gefällt mir.«
Er ist froh, dass sie ihn mag. Er verspürt ein … wohliges Gefühl.
»Ich heiße Emma«, sagt sie. »Emma Green. Ich bin froh, dass du mich nach Hause bringst, Adrian, denn meine Familie macht sich meinetwegen bestimmt Sorgen. Besonders meine Mum. Ich schätze, sie weint viel, und mein Dad auch, außerdem habe ich noch einen Bruder. Meine Mutter hat Krebs und wird bald sterben.«
»Wirklich?«, fragt er.
»Ja. So was würde ich mir nicht ausdenken.«
»Hast du mal Bücher über Serienmörder gelesen?«, fragt er, »oder über Psychologie?«
»Was? Nein, hab ich nicht. Warum?«
»Nur so«, sagt er. Er hat den Verdacht, dass sie versucht, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Sie benutzt häufig seinen Namen, und die Geschichte von der Krebserkrankung ihrer Mutter soll sicher sein Mitgefühl wecken … das hat er in den Büchern über Serienmörder gelesen, aber wenn sie diese Bücher nicht kennt, kann sie auch nicht wissen, dass man so was sagen soll. Sie versucht nicht, ihn auszutricksen – sie ist ein nettes Mädchen. Da er ständig mit Menschen zu tun hat, die nicht nett sind, sucht er wahrscheinlich
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