Die Totensammler
den Toaster. Dann setzt er sich an den Küchentisch und liest die Zeitung, die er Cooper gestern gegeben hat. Aus ihr erfährt er den Namen des Mädchens, das er letzte Nacht gefunden hat. Emma Green. Er liest einen Artikel über die Todesstrafe, über das Für und Wider, und findet, dass beide Parteien recht haben. Die Zwillinge haben den Tod verdient für das, was sie anderen angetan haben, er hingegen nicht für das, was er mit den Zwillingen gemacht hat. Sonst wären die Leute, die im Gefängnis die Exekutionen durchführen, ja auch Mörder. Und dann müsste man sie verhaften und auf dem elektrischen Stuhl hinrichten. Hat Neuseeland überhaupt einen elektrischen Stuhl? Er weiß nicht mal, wann in Neuseeland die Todesstrafe abgeschafft wurde, oder ob es sie je gab, und wenn, wie sie vollzogen wurde. Wahrscheinlich durch ein Erschießungskommando. Nicht alle Mörder sind Monster. Einige haben gute Gründe.
Er schenkt sich ein zweites Glas Saft ein, stopft den Elektroschocker in seine Tasche, schnappt sich die Pistole und öffnet die Tür zum Schlafzimmer, wo Emma Green gefesselt auf einem Bett liegt. Wahrscheinlich haben hier die früheren Bewohner geschlafen, bevor die Zwillinge sie getötet und sich hier breitgemacht haben. Im Zimmer stehen altmodische Möbel voller Schnörkel und Schnitzereien, und die Bettdecke hat ein Blumenmuster. Das Fenster steht offen, die Luft ist warm. Das Mädchen schläft tief und fest, und er steht reglos da und betrachtet sie. Er möchte an ihrem Haar riechen und streicht es ihr aus dem Gesicht. Nach ein paar Minuten kommt Leben in ihren Körper, offensichtlich hat sie ihn bemerkt. Blinzelnd öffnet sie die Augen, starrt ihn an. Dann weicht sie entsetzt zurück.
»Ich bin derjenige, der dich gefunden hat«, sagt er. »Ich habe dir geholfen. Hier, ich hab was zu trinken für dich.«
»Was … was wollen …«, sagt sie, dann fängt sie an zu husten. Ihr Körper strafft sich, als sie versucht, sich die Hand vor den Mund zu halten, doch die ist am Kopfende festgebunden. »Was wollen Sie?«, fragt sie.
Sie ist nackt, obwohl er sie zugedeckt hat, als er sie letzte Nacht ans Bett gefesselt hat. Offensichtlich hält sie ihn für ihren Entführer. Hat sie denn Cooper nicht gesehen?
»Ich habe dich nicht entführt«, sagt er. »Ich will dir helfen.« Er tritt ans Bett, und sie kann nicht weiter vor ihm zurückweichen. Er hält ihr das Glas hin. »Ich möchte, dass du das hier trinkst«, sagt er. »Ich möchte, dass es dir besser geht.«
Bevor sie antworten kann, drückt er ihr das Glas an den Mund. Hastig trinkt sie davon.
»Erinnerst du dich nicht an mich?«, fragt er, während sie weitertrinkt. »Ich hab dir geholfen. Ich habe dich in die Wanne gelegt, damit du es kühler hast, ich habe dir Wasser gebracht und dir das Klebeband von den Augen gezogen.«
Er nimmt das Glas fort. Sie nickt langsam. Ihre Lippen sind mit Saft benetzt, er tropft an ihrem Kinn hinunter. Wenn er nach her einkaufen fährt, muss er unbedingt an den Kleber denken.
»Ich erinnere mich«, sagt sie. »Sie haben mich in einen Kofferraum gelegt, neben irgendwas, das vermodert gerochen hat. Aber wenn Sie mich nicht entführt haben, warum haben Sie mich dann gefesselt?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte. Ich will dir helfen«, sagt er, was nicht ganz gelogen ist. Er möchte, dass es ihr gut genug geht, um sie Cooper zu überreichen.
»Aber Sie haben mich entführt«, sagt sie.
»Nein, ich habe dich gefunden«, sagt er.
»Und warum haben Sie mich dann gefesselt?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte«, wiederholt er, und die Antwort gefällt ihm. Er wird sie auch bei Cooper benutzen, falls der ihm Fragen stellt, die er nicht beantworten möchte.
»Wenn Sie mich nicht entführt haben«, sagt sie, »können Sie mich dann losmachen? Außerdem muss ich was essen – ich hatte seit Tagen nichts mehr im Magen.«
»Ich werde dich losmachen«, sagt er, »und dir was zu essen bringen, doch zunächst musst du dich damit abfinden, dass du unmöglich verstehen kannst, was hier los ist. Wenn du mir hilfst, helfe ich dir auch. Dann kriegst du was zu essen, und ich bringe dich nach Hause«, sagt er. Ersteres stimmt, Letzteres nicht. Er spürt, wie er rot wird. Er hasst es, jemanden anzulügen, jemanden, der so … hübsch ist.
»Ihnen helfen?«, fragt sie. »Was genau soll ich tun?«
»Ich bin verletzt«, sagt er und schaut auf sein Bein hinunter. Mit der Pistole in der Hand versucht er, das Hosenbein
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