Die Totensammler
sage ich und denke an letztes Jahr, als er mich umbringen wollte. Er wäre durchaus dazu in der Lage gewesen. Doch jetzt wartet Donovan Green darauf, dass ich ihm einen Namen liefere. Möglicherweise hatte er den Namen bereits, hat Cooper Riley getötet, es mit der Panik gekriegt und ist dann zu mir gekommen, um sich ein Alibi zu verschaffen. Noch einmal rufe ich mir seinen Gesichtsausdruck ins Gedächtnis, seine finstere Entschlossenheit, jene Person zu fassen, die Emma das angetan hat. Nein, der Mann wusste nicht, wer seine Tochter entführt hat. Da bin ich mir sicher. »Donovan Green würde nicht die einzige Person töten, die ihren Aufenthaltsort kennt.«
»Vielleicht foltert er ihn, um es zu erfahren.«
»Aber das Feuer hat er nicht gelegt.«
»Er könnte jemanden damit beauftragt haben.«
»Warum sollte er dann in Emmas Wagen herumfahren?«
Darauf weiß Schroder keine Antwort.
»Habt ihr überprüft, ob es einen Zusammenhang zwischen den beiden Bränden gibt?«
»Es könnte eine Verbindung zwischen Cooper Riley und Pamela Deans geben, allerdings nur eine sehr vage, wenn überhaupt.«
»Willst du’s mir verraten?«
»Hör zu, Tate, ich muss die Kollegen verständigen. Du solltest jetzt gehen. Falls du noch hier bist, wenn die anderen Detectives eintreffen, verliere ich deinetwegen meinen Job.«
»Rufst du mich nachher an?«
Er nickt. »Ich halte dich auf dem Laufenden und bringe dich später auf den neuesten Stand. Tate, du hast einen klasse Job gemacht, was die Sache mit Melissa X betrifft«, sagt er. »Wenn das, was du rausgefunden hast, zu ihrer Verhaftung führt, winkt dir auf jeden Fall die Belohnung.«
Ich starre auf die Fotos hinab. »Ich tu das nicht wegen Geld«, sage ich.
»Ich weiß. Aber du kannst es brauchen.«
Ich hinke zurück in den Flur und schließe die Tür hinter mir. Ich denke an die Mädchen, die tagtäglich diese Gänge entlanglaufen, und daran, wie kurz jede davor war, Coopers nächstes Opfer zu werden.
Bevor ich den Parkplatz erreiche, ruft Donovan Green erneut an. Inzwischen ist der Himmel nicht mehr überall blau. Im Norden hängen weiße Schäfchenwolken, im Osten ist es völlig bedeckt, und auch über dem Meer erstreckt sich eine Wolkendecke bis zum Horizont. Die Temperatur muss tatsächlich um ein, zwei Grad gesunken sein. Ich gehe ans Telefon und berichte Green von den neuesten Erkenntnissen. Von den Fotos, die seine gefesselte und nackte Tochter zeigen, erzähle ich ihm allerdings nichts. Und meine Theorie, dass sie vielleicht noch am Leben ist, behalte ich ebenfalls für mich. Das Letzte, was ich möchte, ist, ihm falsche Hoffnungen zu machen, nur um ihm einen Tag später die schlimmste Nachricht seines Lebens zu überbringen. Ich erzähle ihm, dass ich vorankomme, dass ich ein paar Hinweise habe und hoffentlich bald weitere Neuigkeiten habe.
Ich fahre nach Hause. Im Berufsverkehr bin ich lange unterwegs. Sobald ich mein Haus betreten habe, mache ich mir einen starken Kaffee und starte den Computer. Gehe ins Internet. Einsetzender Regen klatscht gegen die Fenster, alle paar Sekunden einige Tropfen. Ich stehe auf und schließe sie, der Windhauch, der hereinbläst, ist warm und elektrisch geladen. Die Bäume vor dem Arbeitszimmer werden vom Wind gepeitscht. Das spätsommerliche Laub auf dem Boden wirbelt über den Rasen. Am Himmel ist kein einziger blauer Fleck mehr, keine einzige weiße Wolke, er ist vollkommen dunkel. Als es schließlich wie aus Kübeln gießt, trete ich ins Freie, und da bin ich nicht der Einzige. Auf der Straße stehen meine Nachbarn, die Arme ausgestreckt, das lächelnde Gesicht zum Himmel gewandt. Tagelang hatten die Leute in dieser Stadt das Gefühl, sie würden verglühen, doch jetzt gerade ist die Welt in Ordnung. Kinder lachen. Menschen tanzen im Kreis. Es ist das absolute, pure Glück, und es ist ansteckend. Ich fange ebenfalls an zu lachen. Und lasse den Regen meine Kleidung durchweichen. Es ist der erste Regen, den ich seit vier Monaten spüre, und wie der Sonnenuntergang gestern Abend hat der Regen noch nie so schön ausgesehen. Als der erste Blitz aufzuckt, ziehe ich mich ins Haus zurück, und im nächsten Moment wälzt sich ein Donnergrollen über die Stadt, so laut, dass die Bilder an den Wänden klappern. Das Zimmer wird von einem gleißenden Licht erhellt, als ein weiterer Blitz den Abendhimmel zerteilt. Ich trockne mich ab und umwickle die Füße und meine Hand mit einem frischen Verband, dann setze ich mich vor den
Weitere Kostenlose Bücher