Die Totensammler
erneut den Griff. Es ist rutschig.
Noch sieben Minuten.
Er drückt die junge Frau mit dem Gewicht seines Körpers gegen die Wand. Sie hat Tränen in den Augen, und ihr Gesicht ist gerötet. Sie verliert einen Kampf, für den sie inzwischen zu schwach ist. Mit seiner freien Hand drückt er ihr die Nase und gleichzeitig das Ende des Strohhalms zu. Ihre Augen weiten sich, ihr Gesicht wird noch röter, und an Hals und Stirn treten die Adern hervor. Er hat tatsächlich das Gefühl, dass ihre Augäpfel jeden Moment aus den Höhlen hüpfen. Das würde er gerne sehen, auch wenn ihm davon bestimmt schlecht werden würde. Irgendetwas in ihrer Nase gibt ein lautes Knacken von sich. Dann öffnet sich ihr Mund, ihre Lippen reißen auseinander, verklebte Hautfetzen hängen wie winzige Blätter herab, und der Strohhalm baumelt wie eine Zigarette von ihrer Unterlippe, während Blut auf ihr Kinn spritzt. Sie atmet röchelnd ein, doch ihre Lunge hat sich nicht einmal ganz gefüllt, bevor er das Messer herumdreht, und die Luft, die sie eingesogen hat, schießt sofort wieder heraus.
Er will nicht, dass es noch länger dauert, und das tut es nicht. Ihre Augen stellen die Frage, die sie nicht mehr aussprechen kann.
»Ich kann nichts dagegen tun«, erklärt er ihr, und da das nicht reicht, fährt er fort. »Tut mir leid«, fügt er hinzu, und er meint es offensichtlich ernst.
Sie verdreht die Augen und sinkt zu Boden. Es ist anders als bei dem ersten Mädchen, das gestorben ist. Auf diese Weise ist es befriedigender, so wollte er es immer machen. Er hatte zwar keinen Sex mit ihr, und das fehlt ihm, doch das mindert nicht den Wert dieser Erfahrung. Das letzte Mädchen ist gestorben, als er fort war. Sie hat einfach schlappgemacht. Er wüsste zu gerne, was seine Kollegen jetzt sagen würden, nicht nur die anderen Mörder, sondern auch diejenigen, die sich ebenfalls wissenschaftlich mit ihnen befassen. Was würden sie zu einem Mann sagen, dessen Verlangen so stark ist, dass er die Frau umbringt, die ihn freigelassen hat und ihm womöglich hätte helfen können? Damit steht er eine Stufe über allen anderen Mördern. Er ist ein Genie. Wenn er ihnen davon erzählen könnte, würde er ihnen sagen, dass es nicht nur eine Frage des Verlangens war, sondern auch der Notwendigkeit. Er konnte sie nicht mitnehmen. Und er muss Adrian töten. Abgesehen von der Kamera soll sein Privatleben auch privat bleiben – wenn das Gerücht die Runde macht, dass er ein Serienmörder ist, forscht die Polizei vielleicht gründlicher nach, als ihm lieb ist, und dann wäre er geliefert, dann hätte er genauso gut hier unten bleiben können, denn hier wäre er wenigstens sicherer gewesen als in einem richtigen Gefängnis.
Er schaut auf die Frau hinunter. Auf der Innenseite ihrer Arme befinden sich mehrere Tattoos und in der Armbeuge Ein stichlöcher. Aus irgendeinem Grund hält er sie für eine Prostituierte, er glaubt, dass ihr Körper von den Bedürfnissen und dem Zorn unzähliger Männer beschmutzt wurde. Ihr Blut ist auf sein Gesicht gespritzt. Mit der Rückseite seines Arms wischt er es ab. Auch sein Hemd ist mit dunkelroten Flecken übersät. Genervt zupft er den feuchten Stoff von seinem Körper, aber als er ihn wieder loslässt, klebt er gleich wieder an seinem Bauch. Das Blut kühlt bereits ab. Er mustert die Schnittwunde an seiner Hand. Mein Gott, das ganze Blut, das in seine Wunde gedrungen ist – Scheiße, er muss duschen. Wie’s aussieht, wird er hier rauskommen und in sein altes Leben zurückkehren, nur um festzustellen, dass er HIV-positiv ist oder sich mit Hepatitis infiziert hat, oder er hat den Jackpot geknackt und sich AIDS eingefangen.
Er geht zum oberen Treppenabsatz, nimmt die dünne Haut zwischen Daumen und Zeigefinger in den Mund und beißt vorsichtig darauf herum, schmeckt das Blut. Er saugt es in den Mund und spuckt es auf den Boden. Dann hält er sein Ohr an die Tür. Er kann klassische Musik hören. An den Rändern der Tür schimmert Tageslicht. Er legt die Hand auf den Knauf. Sie ist nicht verschlossen. Er hat noch vier Minuten. Vielleicht mehr. Langsam öffnet er die Tür, und die Musik wird lauter.
Der Flur sieht noch genauso aus wie vor drei Jahren, als er das letzte Mal hier war, als er glaubte, ein Buch zu schreiben, für das sich die Leute interessieren würden. Etwas bewegt sich. Kommt aus dem Schatten einer der anderen Türen. Er weiß, was gleich passieren wird, so wie er weiß, dass er reingelegt wurde, dass er von einem
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